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Training im Flow

Dr. Sabine Nunius

Warum es manchmal lĂ€uft wie von selbst – und wie man diesen Zustand befördern kann.

Wer regelmĂ€ĂŸig trainiert, kennt dieses PhĂ€nomen sicherlich: An manchen Tagen lĂ€uft es förmlich wie von selbst, die Zeit scheint geradezu dahinzufliegen und wir erbringen beinahe mĂŒhelos beachtliche Leistungen. An anderen Tagen dagegen quĂ€len wir uns durch jede einzelne Minute und mĂŒssen uns fĂŒr Zeiten und Resultate, die uns an guten Tagen leicht fallen, gehörig anstrengen. Die Ursachen fĂŒr diese Schwankungen sind vielfĂ€ltig. Ein zentraler Aspekt ist sicherlich unsere körperliche Verfassung. FĂŒhlen wir uns energielos, haben schlecht geschlafen, sind durch eine Verletzung eingeschrĂ€nkt oder brĂŒten einen Infekt aus, wirkt sich das auf unsere physische LeistungsfĂ€higkeit aus. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich und quasi allen Sportlern bewusst. Meist gehen wir daher an solchen Tagen von vornherein mit anderen Erwartungen ins Training, passen unser Programm an oder schonen uns bewusst. Gleiches gilt fĂŒr eher widrige Ă€ußere UmstĂ€nde. Herrschen etwa sehr hohe oder sehr tiefe Temperaturen, ist unsere LeistungsfĂ€higkeit eingeschrĂ€nkt und wir adaptieren unsere Erwartungen sowie unser Trainingsprogramm entsprechend.

Weniger offensichtlich und somit schwerer erklĂ€rbar sind hingegen PhĂ€nomene, bei denen kein direkter Zusammenhang zwischen unserer LeistungsfĂ€higkeit und unserer physischen Verfassung oder den Ă€ußeren UmstĂ€nden zu bestehen scheint. Diese Erfahrung kennen die meisten, die regelmĂ€ĂŸig trainieren, ebenfalls. Auf den ersten Blick scheint alles zu stimmen: Wir fĂŒhlen uns gut, befinden uns in einem erholten Zustand, sind angemessen vorbereitet und es herrschen gĂŒnstige Bedingungen. Trotzdem gelingt es uns nicht, in unseren Fluss zu finden und das abzurufen, was unserem Trainingszustand entsprĂ€che und zu dem wir an anderen Tagen fĂ€hig sind. Diese Trainingseinheiten sind meist besonders frustrierend, weil sie uns unzufrieden mit unserer Leistung machen und wir in solchen Momenten oft beginnen, mit uns selbst zu hadern, da sich scheinbar kein rationaler Grund dafĂŒr finden lĂ€sst, dass sich die Beine anfĂŒhlen wie Blei, wir kraftlos sind oder keine Schnellkraft entwickeln können. Die einzige ErklĂ€rung, die dann bleibt, ist in der Regel: „Heute war einfach kein guter Tag“ oder „Irgendwie lĂ€uft es gerade nicht.“

GlĂŒcklicherweise kann der gleiche Effekt auch in umgekehrter Form eintreten, mitunter zu unserer eigenen Überraschung. So kommt es vor, dass wir uns zu Beginn einer Trainingseinheit energielos, gestresst und wenig leistungsfĂ€hig fĂŒhlen und daher geringe Erwartungen haben. Nachdem wir mit der Bewegung begonnen haben, scheint sich plötzlich jedoch ein mentaler Schalter umzulegen und wir befinden uns im „Flow“. Entgegen unseren anfĂ€nglichen Erwartungen lĂ€uft es dann sozusagen „wie geschmiert“ und wir ĂŒbertreffen unsere Ziele fĂŒr diesen Tag vielleicht sogar. Diese Erfahrung als solche dĂŒrfte vielen Sportlern vertraut sein. Geht es jedoch um die Ursachen und notwendigen Rahmenbedingungen fĂŒr derartige Wechsel in einen anderen Bewusstseinszustand, wird es deutlich schwieriger, konkrete Faktoren zu benennen oder diese ZustĂ€nde sogar gezielt herbeizufĂŒhren.

Flow – praktische Erfahrung und theoretisches Wissen 

Diese Diskrepanz zwischen den vorhandenen Erfahrungswerten und den verfĂŒgbaren ErklĂ€rungen – sowie der Versuch, diese LĂŒcken zu schließen – haben dazu gefĂŒhrt, dass sich Sportler wie Trainer und Sportwissenschaftler bereits seit lĂ€ngerem mit dem Thema Flow auseinandersetzen. Aus Sportler- wie Trainersicht sind diese PhĂ€nomene insofern spannend, als sie einen erheblichen Einfluss auf Training wie Wettkampf haben. Die Flow-Erfahrung an sich, also ein GefĂŒhl der Leichtigkeit, des Ewig-Weiter-Machen-Könnens und des Aufgehens im Moment, ist aus mehreren GrĂŒnden höchst attraktiv. Der erste davon ist vergleichsweise banal: Empfinden wir eine sportliche BetĂ€tigung oder körperliche Belastung selbst bei hoher IntensitĂ€t als angenehm und erstrebenswert, erhöht das den Spaß und die Motivation erheblich. Zudem fĂ€llt es leichter, eine intensive Leistung ĂŒber lange ZeitrĂ€ume aufrecht zu erhalten, wenn sie mit einer gewissen MĂŒhelosigkeit vonstatten geht. Aus gutem Grund ist das sogenannte „runners‘ high“ gerade bei LangstreckenlĂ€ufern so beliebt! Der Flow wird darĂŒber hinaus mit einer Reihe weiterer positiver QualitĂ€ten in Verbindung gebracht, darunter die generelle Steigerung des Wohlbefindens, eine Verbesserung des Selbstbilds sowie eine Erhöhung der SpitzenleistungsfĂ€higkeit.[1]

Hinzu kommt eine starke emotionale Komponente. Flow-ZustĂ€nde werden von den allermeisten Menschen als extrem angenehm empfunden. Wer einmal einen Flow-Zustand erlebt hat, strebt danach, diese Erfahrung zu wiederholen, schon allein aufgrund des guten GefĂŒhls. Hinzu kommen, je nach individueller Zielsetzung, Aspekte wie Leistungssteigerung, lĂ€ngeres Durchhalten oder langfristige Motivation. Das Vorhaben ist somit klar definiert: Es geht darum, möglichst oft Flow-Erfahrungen zu machen. Die Umsetzung erweist sich jedoch als weitaus komplizierter. Denn wĂ€hrend viele körperliche ZusammenhĂ€nge vergleichsweise gut erklĂ€rbar und somit beeinflussbar sind, scheinen die bei Training und Wettkampf ablaufenden mentalen Prozesse ganz eigenen GesetzmĂ€ĂŸigkeiten zu folgen. Ursache und Wirkung sind oft weniger leicht (oder scheinbar gar nicht) ersichtlich. Das erschwert es, konkrete TrainingsplĂ€ne zu erstellen oder Maßnahmen zu definieren, die verlĂ€sslich zu einem Flow fĂŒhren. Die einzige Alternative besteht daher meist darin, eigene Erfahrungen zu sammeln, zu experimentieren und so schließlich den individuell besten Weg zu finden.

FĂŒr die Erstellung einer solchen persönlichen Strategie sind, trotz der stark individuellen Komponente, gewisse theoretische Überlegungen dennoch von Nutzen. In Verbindung mit der eigenen Erfahrung helfen sie, zugrunde liegende Mechanismen zu erkennen und zu verstehen. So lassen sich individuelle Muster identifizieren und ZusammenhĂ€nge aufdecken. In einem zweiten Schritt können dann Strategien entwickelt werden, um förderliche Bedingungen zu kultivieren und damit Flow-ZustĂ€nde zu begĂŒnstigen. Diese Vorgehensweise macht das wiederholte Erleben von Flows zumindest wahrscheinlicher. Der Idealfall, einen Flow wie auf Knopfdruck abzurufen, ist realistisch leider nicht möglich – zumindest ist es bislang noch niemandem gelungen, das hierfĂŒr notwendige „Rezept“ zu finden. Daher gilt es, sich vor allem auf die Rahmenbedingungen sowie auf beeinflussbare persönliche Faktoren zu konzentrieren und diese bestmöglich zu gestalten.

Flow als Mittel zur Leistungssteigerung?

Exakt diese Frage, also die Überlegung, wie die Rahmenbedingungen und anderweitige Voraussetzungen beschaffen sein mĂŒssen, um einen Flow zu befördern, treibt Sportler wie Trainer und Bewegungswissenschaftler schon seit langem um. Dies gilt insbesondere fĂŒr den Bereich des Spitzensports. Diejenigen Athletinnen und Athleten, die mit der internationalen Weltspitze konkurrieren können, sind heute in der Regel perfekt austrainiert und verfĂŒgen ĂŒber ausgeklĂŒgelte TrainingsplĂ€ne sowie hochwertigstes Material. Gilt es, sich von der Konkurrenz abzuheben und im Wettkampf ĂŒber den entscheidenden Vorteil zu verfĂŒgen, mĂŒssen daher alle Faktoren genutzt werden, die die LeistungsfĂ€higkeit potenziell steigern. Die mentale Komponente stellt in diesem Konglomerat an Faktoren eine zentrale Stellschraube dar. Aus gutem Grund ist Mentaltraining inzwischen ein fester Bestandteil der TrainingsplĂ€ne von quasi allen Topathleten. In der Regel geht es insbesondere darum, Strategien zu entwickeln, um die Athleten widerstandsfĂ€higer zu machen und sie in einen mentalen Zustand zu versetzen, der Höchstleistungen befördert. Dass sich Flows bei diesem Unterfangen anbieten, liegt auf der Hand. Spannenderweise gilt Ă€hnliches fĂŒr den Bereich der Musik. Auch hier ist das Anliegen, Spitzenmusiker zu befĂ€higen, schwierigste Passagen scheinbar mĂŒhelos bzw. mit dem Eindruck grĂ¶ĂŸter Leichtigkeit vorzutragen. Offensichtlich sind die Rahmenbedingungen in beiden Feldern vielfach vergleichbar und ĂŒbertragbar. Von daher findet sich eine ganze Reihe von Studien, die Musiker und Sportler vergleichen oder Flow-ZustĂ€nde in beiden Bereichen untersuchen.

Die Konzentration auf die Steigerung der LeistungsfĂ€higkeit bzw. auf die Performance spielt im Amateursport zwar ebenfalls eine Rolle, steht aber meist weniger stark im Vordergrund. Hier kommt zusĂ€tzlich vor allem der Aspekt der Motivation zum Tragen. Wer sich nach einem langen Arbeitstag noch zum Training aufraffen soll, wird dies weitaus leichter tun, wenn nicht nur die Aussicht auf das gute GefĂŒhl nach dem Training lockt, sondern bereits das Training als solches Spaß macht. Erneut sind Flow-ZustĂ€nde offensichtlich von Vorteil. Deshalb lohnt sich auch hier die Auseinandersetzungen mit den Bedingungen, die solche ZustĂ€nde erleichtern. Da die zugrundeliegenden Mechanismen prinzipiell die gleichen sind, lassen sich die fĂŒr den Bereich des Leistungssports gewonnen Erkenntnisse ĂŒbertragen und so fĂŒr unterschiedliche Kontexte und Zielsetzungen nutzen, ganz egal ob es darum geht, die Motivation zu stĂ€rken, die Leistung im Training und im Wettkampf zu fördern oder einen mentalen Ausgleich zu schaffen.

Flow – was ist das eigentlich?

Es war bereits mehrfach von Flow bzw. Flow-ZustĂ€nden die Rede – sowie davon, dass viele Sportler diese Erfahrung kennen. Eine genaue, objektive Beschreibung dessen, was einen Flow-Zustand ausmacht, fĂ€llt dennoch schwerer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das können vermutlich alle bestĂ€tigen, die schon einmal versucht haben, jemandem die Faszination dieses Zustands zu erklĂ€ren, der Flows nicht kennt! Trotz dieser Schwierigkeit sowie der stark subjektiven Komponente, die beim tatsĂ€chlichen Erleben stets vorhanden ist, brauchen wir eine Versprachlichung. Denn um die zugrundeliegenden Muster und Mechanismen zu erforschen und zu verstehen, benötigen wir eine gemeinsame Basis in Form einer möglichst exakten Definition. Einen guten Ansatzpunkt bieten hierbei die Forschungen von Mihaly Csikszentmihalyi. Diese zĂ€hlen mittlerweile zu den Standardwerken, wenn es um das Thema Flow geht und liefern eine griffige allgemeine Beschreibung. Csikszentmihalyi zufolge besteht das Flow-Erlebnis aus insgesamt acht Komponenten. Betrachtet man die einzelnen Komponenten genauer, zeigt sich schnell, warum Sport und Bewegung geradezu prĂ€destiniert fĂŒr Flow-Erfahrungen sind. Zudem liefern die aufgelisteten Kriterien eine ErklĂ€rung dafĂŒr, warum vor allem ambitionierte Sportler, die ĂŒber ein hohes Maß an Können und Expertise verfĂŒgen, Flow-ZustĂ€nde wiederholt erfahren bzw. sich diese bei ihnen leichter oder schneller einstellen. Bei den von Csikszentmihalyi definierten acht Komponenten von Flow handelt es sich um:

  1. Klarheit der Ziele und unmittelbare RĂŒckmeldungen

Dieser Aspekt ist im Sport eindeutig vorhanden. In vielen Disziplinen geht es bereits im Training darum, vorgegebene Zeiten oder Werte zu erfĂŒllen. Die RĂŒckmeldung bezĂŒglich des Erfolgs erfolgt somit unmittelbar – entweder wir erreichen die Vorgaben und haben die Aufgabe somit gemeistert oder wir bleiben unter den Anforderungen und verbuchen einen Misserfolg. Gleiches gilt fĂŒr den Wettkampf. In der Regel gehen wir mit bestimmten Erwartungen in ein Turnier und erhalten durch die Platzierung eine sofortige RĂŒckmeldung.

  1. Eine hohe Konzentration auf ein begrenztes Feld

Wollen wir eine gute Leistung erbringen, braucht es neben der physischen Fitness und den technischen FĂ€higkeiten ein erhebliches Maß an Konzentration. Denn die beste Technik nutzt wenig, wenn wir abgelenkt sind, uns Fehler in der AusfĂŒhrung unterlaufen oder wir im entscheidenden Moment zu langsam reagieren. Das kann an Tagen, an denen wir gestresst, mĂŒde oder unkonzentriert sind, zur Herausforderung werden. Dann gelingt es uns trotz aller Vorbereitung und trotz allen Könnens nicht, die uns mögliche Leistung abzurufen. Schaffen wir es dagegen, unsere Aufmerksamkeit vollkommen auf das zu richten, was wir gerade tun, gehen wir förmlich in der AktivitĂ€t auf und es stellt sich eine starke Fokussierung ein. Dieser Effekt ist einerseits leistungsfördernd und bietet andererseits die Gelegenheit zur mentalen Regeneration. Das gilt insbesondere dann, wenn wir den Sport als Ausgleich nutzen möchten, sprich wenn es uns darum geht, beim Training die Sorgen und Probleme des Alltags hinter uns zu lassen und alles, was uns belastet, eine Zeit lang auszublenden. Diese mentale Auszeit lĂ€sst sich in der Bewegung oft leichter realisieren als in der (körperlichen) Ruhe. Denn in stressigen Phasen beginnen die Gedanken bei vollkommener Ruhe oft erst richtig zu kreiseln und es fĂ€llt schwer, abzuschalten und beispielsweise auf dem Sofa oder im Liegestuhl zu entspannen. Kommen wir dagegen körperlich in Bewegung und haben einen Fokus, auf den wir unsere Aufmerksamkeit richten können, wird es leichter, den Alltag zur Seite zu schieben und so Abstand zu gewinnen.

  1. Das VerhÀltnis zwischen Anforderungen und FÀhigkeiten

Eine weitere wichtige Voraussetzung fĂŒr das Entstehen von Flow: Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe muss im richtigen VerhĂ€ltnis zu den FĂ€higkeiten der handelnden Person stehen. Konkret bedeutet das, dass eine Aufgabe uns zwar fordern muss, gleichzeitig aber nicht ĂŒberfordern darf, wenn wir einen Flow-Zustand erreichen möchten. Ist die Herausforderung zu groß, entstehen beispielsweise Anspannung, Frust und Angst. Ist die Herausforderung dagegen zu klein, stellen sich Langeweile und ein GefĂŒhl der Unterforderung ein. Um das richtige Maß zu finden, braucht es Erfahrung sowie einiges Ausprobieren. Ist das Optimum jedoch (nĂ€herungsweise) erreicht und bewegt sich ein Sportler innerhalb einer fĂŒr ihn passenden Leistungsklasse bzw. verfolgt einen Plan, der genau auf seine FĂ€higkeiten zugeschnitten ist, herrschen beste Rahmenbedingungen fĂŒr die erforderliche ausbalancierte Kombination zwischen Anforderungen und FĂ€higkeiten. Neben Aspekten wie potenzieller Unter- bzw. Überlastung ist dies ein weiterer Grund, das eigene Trainings- und Wettkampfprogramm regelmĂ€ĂŸig zu ĂŒberprĂŒfen und bei Bedarf anzupassen.

  1. Das GefĂŒhl von Kontrolle

Wer schon einmal ein Runner’s High erlebt hat, weiß, wovon bei diesem Punkt die Rede ist: Gerade in Momenten, in denen es „lĂ€uft“, stellt sich kurzzeitig das GefĂŒhl ein, man könne einfach alles erreichen, endlos weiterlaufen, den Körper perfekt steuern und sei vollkommen im Einklang mit sich selbst und der Bewegung. Setzt ein solcher Zustand ein, gehen wir ganz im Moment auf, haben gleichzeitig aber das GefĂŒhl absoluter Kontrolle und Selbstwirksamkeit.

  1. Die MĂŒhelosigkeit des Handlungsablaufs

Übung macht den Meister. Diese Redensart ist inzwischen ĂŒberstrapaziert, hat aber trotz allem weiterhin einen wahren Kern. Je öfter wir BewegungsablĂ€ufe, SpielzĂŒge oder Choreographien ĂŒben, desto leichter fallen sie uns. Idealerweise erreichen wir irgendwann den Punkt, an dem selbst Höchstleistungen mit einer gewissen MĂŒhelosigkeit und Leichtigkeit einhergehen. HĂ€ufig erkennen wir bereits aus der Zuschauerperspektive, ob ein Sportler oder Musiker sich sehr stark konzentrieren und anstrengen muss oder ob seine Leistung eine fast schon spielerische QualitĂ€t aufweist. In der Regel sind es genau diese Auftritte, die besonders beeindrucken und ob ihrer MĂŒhelosigkeit und Ästhetik im GedĂ€chtnis bleiben. FĂŒr den Athleten wird das eigene Tun durch die Leichtigkeit insofern attraktiv, als keine (mentale) Kraftanstrengung mehr notwendig ist, um selbst hochkomplexen Anforderungen gerecht zu werden. Zudem geht ein solcher Zustand mit Spaß bzw. VergnĂŒgen einher, was fĂŒr viele harte Trainings- oder Übungssessions entschĂ€digt und langfristig die Motivation aufrecht erhĂ€lt.

  1. Die VerÀnderung des Zeiterlebens

Ein weiteres PhĂ€nomen, das viele Sportlerinnen und Sportler kennen: Tritt der Flow ein, scheint sich ein Schalter im Kopf umzulegen, der die komplette Zeitwahrnehmung verĂ€ndert. Eine Minute kann dann endlos und voll der ErfĂŒllung erscheinen, Stunden verfliegen dagegen geradezu rauschhaft oder wie in einem Wimpernschlag. Das „Auftauchen“ aus einem solchen Zustand fĂŒhlt sich hĂ€ufig an wie die RĂŒckkehr aus einer anderen RealitĂ€t mit einem verĂ€nderten ZeitgefĂŒge. Der ein oder andere LĂ€ufer hat sich in einem dieser Momente vielleicht schon einmal leicht desorientiert umgesehen und festgestellt, diverse Kilometer an Wegstrecke absolviert zu haben, ohne diese wirklich wahrzunehmen. Ein weiterer angenehmer Bonuseffekt: Athleten, die Flow-ZustĂ€nde kennen, berichten, dass sie in diesen Moment keinerlei Anstrengung empfinden, sondern ohne ĂŒbermĂ€ĂŸigen Kraftaufwand scheinbar endlos weiter machen könnten. Diese QualitĂ€t macht den Flow und damit die sportliche BetĂ€tigung besonders attraktiv. Das gilt vor allem deshalb, weil sich derartige ZustĂ€nde sonst fast nur durch gesundheitsschĂ€dliche Stoffe bzw. Drogen herstellen lassen. Eine gewisse addiktive QualitĂ€t können das körpereigene „High“ bzw. die Jagd danach zwar ebenso gewinnen, die „Nebenwirkungen“ sind in der Regel jedoch weitaus positiver als bei anderen Substanzen!

  1. Das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein

WĂ€hrend eines Flow-Erlebnisses kommt es zu einem ausschließlichen Fokus auf die AktivitĂ€t. Der Sportler geht dadurch komplett in ihr auf und wird eins mit dem eigenen Tun. Oft werden solche Phasen als Momente der idealen Harmonie, Perfektion und des absoluten Einklangs beschrieben. Spannenderweise berichten viele Sportler, die diese Erfahrungen kennen, dass sie nach außen zwar höchst dynamisch und in intensiver AktivitĂ€t sind, sich in ihrem Inneren jedoch eine enorme Ruhe einstellt. Mitunter wird dieses PhĂ€nomen als ErklĂ€rungsansatz dafĂŒr herangezogen, warum es beispielsweise Kampfsportlern gelingt, punktgenau und blitzschnell zu reagieren, gleichzeitig aber in höchstem Maße konzentriert und fokussiert zu sein und vollstĂ€ndig in sich zu ruhen. Diese Verschmelzung bzw. das Einswerden mit dem eigenen Tun ist ein weiterer möglicher Grund, warum Flow-ZustĂ€nde trotz ihrer IntensitĂ€t als energiespendend und mental regenerierend wahrgenommen werden.

  1. Die autotelische QualitÀt der Flow-Erfahrung: IROI (Immediate Return on Investment)

Dieser Begriff leitet sich vom griechischen autos = selbst und telos = Ziel ab. Er bedeutet, dass sich die Befriedigung nicht erst beim Erreichen eines Ziels einstellt, sondern bereits die Handlung an sich als befriedigend wahrgenommen wird. Deshalb wird mitunter die aus der Wirtschaft stammende AbkĂŒrzung IROI verwendet. Sie zeigt an, dass eine unmittelbare (immediate) Befriedigung bzw. Belohnung fĂŒr eine Anstrengung (Return on Investment) stattfindet. Genau dieses PhĂ€nomen erleben Sportler wĂ€hrend eines Flows. Es liegt auf der Hand, dass Flow-ZustĂ€nde dadurch unter anderem unsere Motivation erheblich steigern und dazu fĂŒhren, dass wir eine AktivitĂ€t freiwillig immer wieder ausfĂŒhren. Der Grund dafĂŒr: Erfolgt bei einer Handlung die Belohnung in Form eines erreichten Ziels zeitverzögert oder erst nachdem wir uns erheblich angestrengt haben, wĂ€gen wir im Vorfeld sorgsam ab, ob wir die Anstrengung wirklich auf uns nehmen möchten und fangen unter UmstĂ€nden gar nicht an. Nehmen wir dagegen schon den Weg zum Ziel als erstrebenswert war, werden wir ihn freiwillig und ohne Anstoß von außen immer wieder gehen. Aus einer anfangs ggf. extrinsischen Motivation wird so intrinsische Motivation. Diese ist langfristig gesehen weitaus nachhaltiger als die Motivation von außen. Somit steigen die Chancen, dass wir langfristig bei der Sache bleiben und kleinere wie grĂ¶ĂŸere Hindernisse und RĂŒckschlĂ€ge ĂŒberwinden.

Die obige Auflistung an Kriterien zeigt, weshalb Sport weit mehr als physische Bewegung ist und uns auch mental bzw. emotional berĂŒhrt. Die meisten begeisterten Sportler dĂŒrften ohnehin weitaus mehr mit ihrer Sportart verbinden als rein das Bestreben, den Körper fit zu halten, Muskeln aufzubauen oder die Kondition zu steigern. Neben sozialen Aspekten wie dem gemeinsamen Training oder WettkĂ€mpfen spielt in aller Regel auch das emotionale Erleben eine bedeutende Rolle und trĂ€gt maßgeblich zur Begeisterung fĂŒr eine Disziplin bei.

SelbstverstĂ€ndlich ist die Begeisterung fĂŒr das eigene Tun oder fĂŒr bestimmte Aufgaben ebenso in anderen Bereichen möglich. Vielfach nimmt der Sport jedoch insofern eine Sonderstellung ein, als Flow-ZustĂ€nde im Alltag bei den meisten Menschen sonst eher selten vorkommen. So sind beispielsweise nur wenige in der glĂŒcklichen Lage, einen Beruf auszuĂŒben, in dem sie regelmĂ€ĂŸig Flow-ZustĂ€nde erleben, etwa als Berufsmusiker oder Schriftsteller. Hinzu kommt, dass, wie oben beschrieben, eine Reihe von Voraussetzungen erfĂŒllt sein muss. Gerade bei technisch herausfordernden TĂ€tigkeiten bedarf es einiger Expertise, um ĂŒberhaupt in einen Flow gelangen zu können. Diese FĂ€higkeiten auf unterschiedlichen Gebieten zu erwerben, ist allein aus zeitlichen GrĂŒnden schwierig. Denn die wenigsten haben die zeitlichen KapazitĂ€ten, regelmĂ€ĂŸig die entsprechende Zeit in unterschiedliche Hobbys und AktivitĂ€ten wie Musik, Sport und bildende Kunst zu investieren. Ist eine Sportart gefunden, die uns gefĂ€llt, fĂŒr die wir ein gewisses Talent haben und die uns Flow-Erfahrung ermöglicht, hĂ€ngen wir deshalb auch emotional stark an dieser Disziplin. Haben wir in ihr die ersten Flow-Erfahrungen gemacht, möchten wir diese in der Regel wiederholen. Leider lĂ€sst sich das nicht erzwingen. Genauso wenig wie wir Schlaf „machen“, uns also zum Einschlafen zwingen können, können wir einen Flow auf Befehl erzeugen. Stattdessen können wir lediglich dafĂŒr sorgen, die bestmöglichen Bedingungen fĂŒr sein Eintreten zu schaffen.

Kein Flow auf Knopfdruck!

Wie gerade erwĂ€hnt: Selbst wenn es wĂŒnschenswert wĂ€re – ein Flow kann nicht komplett vorhersagbar herbeigefĂŒhrt oder wie auf Knopfdruck abgerufen werden.[2] Nichtsdestotrotz gibt es Faktoren, die seine Entstehung begĂŒnstigen. Hierbei scheinen nicht zuletzt die damit verbundenen Emotionen eine große Rolle zu spielen. Eine Studie aus dem Jahr 2022[3], die Flow-ZustĂ€nde bei Sportlern und Musikern untersuchte, sowie weitere einschlĂ€gige Studien zu diesem Themenkreis, identifizierten unter anderem folgende Faktoren und Maßnahmen:

  • RegelmĂ€ĂŸige und angemessene Praxis[4], d.h. ein Trainings- oder Übungsprogramm, das den FĂ€higkeiten des Sportlers oder Musikers entspricht
  • Bedingungen, die geeignet sind, um VergnĂŒgen bzw. Spaß zu empfinden[5]
  • Zwischenpausen/Unterbrechungen vermeiden[6]
  • Alternativen anbieten, sobald ein Programm oder eine Aufgabe zu langweilig wird
  • Persönliche Voraussetzungen:
    • Selbstbewusstsein/Selbstsicherheit
    • Offenheit, zu experimentieren und Neues auszuprobieren
    • Klare Ziele und Zielsetzungen
    • FĂ€higkeit, die eigene Aufmerksamkeit zu fokussieren und aufrecht zu erhalten
    • FĂ€higkeit, mit Selbstbewusstsein bzw. ohne ĂŒbermĂ€ĂŸige Selbstkritik/Selbstzweifel einen Auftritt zu absolvieren oder in der Öffentlichkeit Leistung zu erbringen.

Zudem setzten sich die Studien mit den Rahmenbedingungen auseinander, die Flow-ZustĂ€nde befördern. Leider umfassen einige der Untersuchungen nur eine sehr geringe Anzahl an Probanden. Die Erkenntnisse können deshalb nur als erste Hinweise und Inspirationen verstanden werden. FĂŒr eine generelle Empfehlung bedarf es aktuell noch weiterfĂŒhrender Forschung. Als förderliche Faktoren wurden unter anderem folgende Elemente identifiziert:

  • Novelty (Neuartigkeit)
  • Discovery (entdecken, erforschen)
  • Uncertainty (Unsicherheit) / Experimentation (experimentieren)

Einer Studie zufolge entstanden Flow-ZustĂ€nde nicht zuletzt dadurch, dass die Probanden zunehmend Sicherheit gewannen und so immer grĂ¶ĂŸere Herausforderungen angehen konnten, die es ihnen erlaubten, die Grenzen ihrer LeistungsfĂ€higkeit bzw. ihres Könnens maximal auszunutzen. Dieser Aspekt der perfekten Balance zwischen gestellter Aufgabe und eigener LeistungsfĂ€higkeit wird immer wieder betont und stellt offensichtlich eine zentrale Komponente fĂŒr Flow-Erleben dar.

Betrachtet man die momentane Studienlage, zeigt sich deutlich, dass es noch viel zu untersuchen und zu erforschen gibt, wenn es darum geht, die genauen ZusammenhĂ€nge und Entstehungsbedingungen fĂŒr Flow-ZustĂ€nde zu verstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese stets eine emotionale Komponente beinhalten, die individuell verschieden ausgeprĂ€gt ist – aus diesem Grund ist fraglich, ob es jemals die eine, allgemeingĂŒltige ErklĂ€rung oder Anleitung fĂŒr das Erreichen von Flow-ZustĂ€nden geben wird. Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein höchst spannendes PhĂ€nomen, von dem Hobby- wie Leistungssportler in vielerlei Hinsicht profitieren können. Es lohnt sich deshalb, selbst aktiv zu werden und in der eigenen Praxis herauszufinden, was einem persönlich dazu verhilft, Flow-ZustĂ€nde zu erreichen. Der große Vorteil daran: Mit dieser Methode lĂ€sst sich fast nur gewinnen! Tritt an einem Tag kein Flow ein, gab es (hoffentlich) zumindest eine angenehme, zufriedenstellende Trainingseinheit. Kommt es zu einem Flow: Umso besser, durch diesen Bonuseffekt ist die „Belohnung“ gleich doppelt so groß.

Ich wĂŒnsche allen interessierten Sportler viel Spaß beim Ausprobieren und vor allem viele gute Trainingssessions und WettkĂ€mpfe, mit wie ohne Flow!

Fragen oder Interesse an weiterem Austausch? Die Autorin freut sich ĂŒber alle RĂŒckmeldungen! Kontakt: sabine.nunius@sanu-training.com

[1] Christian Swann, Richard Keegan, Lee Crust, David Piggott,

Psychological states underlying excellent performance in professional golfers: “Letting it happen” vs. “making it happen”, Psychology of Sport and Exercise, Volume 23, 2016, Pages 101-113, ISSN 1469-0292,

https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2015.10.008.

[2] Csikszentmihalyi, M. (1999). “Implications of a systems perspective for the study of creativity,” in Handbook of Creativity. ed. R. J. Sternberg (New York, NY: Cambridge University Press), 313–335

[3] Front. Psychol., 30 March 2022, Sec. Performance Science; Volume 13 – 2022 | https://doi.org/10.3389/fpsyg.2022.831508

[4] Jackson, S. A., and Csikszentmihalyi, M. (1999). Flow in Sports: The Keys to Optimal Experiences and Performances. Champaign, IL: Human Kinetics Books.

[5] Front. Psychol., 02 June 2017; Volume 8 – 2017 | https://doi.org/10.3389/fpsyg.2017.00911

[6] Front. Psychol., 02 June 2017; Volume 8 – 2017 | https://doi.org/10.3389/fpsyg.2017.00911