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Warum müssen Frauen anders trainieren als Männer?

Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Trainingswissenschaftliche Erkenntnisse wurden lange Zeit aus Forschungsergebnissen von untersuchten Männerpopulationen abgeleitet. Auch wenn heute mehr Frauen in wissenschaftliche Unterschungen eingeschlossen werden, besteht immer noch eine große Forschungslücke, ein sogenannter Gender Data Gap. Frauen haben in vielen Sportarten historisch gesehen eine Diskriminierung erfahren, die erst nachhaltig in den letzten 20 Jahren des letzten Jahrhunderts behoben wurde. Die Frauenleichtathletik schaffte es 1928 erstmalig in das Olympische Programm mit fünf Wettbewerben aufgenommen zu werden. Allerdings wurde der 800-m-Lauf zu den Olympischen Spielen in Amsterdam ein Fiasko. Nach dem Zieleinlauf kam es zu „Zusammenbrüchen“ der zweit- und drittplatzierten Kanadierinnen. Obgleich eine „zusammengebrochene“ Läuferin am nächsten Tag mit ihrer Staffel über 4x100 m Gold gewann, wurde von Sportfunktionären auf Grund der „Zusammenbrüche“ beim 800-m-Lauf nach dem Zieleinlauf gefolgert, dass die Frau für Ausdauerleistungen im Sport nicht geschaffen sei. Im Olympiabuch zu den Olympischen Spielen in Los Angeles 1932 wird zitiert: „Nach Ansicht vieler sind die Anstrengungen eines solchen Laufs für den weiblichen Körper zu groß“.

Benachteiligung der Frau im Sport

Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass Frauen zu Olympischen Spielen über 400 m und 800 m über 30 Jahre nicht mehr starten durften. Die Benachteiligung der Frau im Sport beruhte zum Teil auf leistungsphysiologischen Irrtümern; das Hinlegen der Athletinnen im Ziel auf Grund starker Laktatakkumulation ist ein typisches Verhalten bei starker „Übersäuerung“ und kein lebensbedrohlicher Zusammenbruch. 1984 wurde schließlich bei den Olympischen Spielen in Los Angeles erstmals der Frauenmarathon in das Programm aufgenommen. Zuvor nahm beim Boston Marathon eine Frau inoffiziell am Marathon ohne Startnummer teil und 1967 meldete sich dann die Amerikanerin Kathrine Switzer erstmalig offiziell zum Boston Marathon an, wurde jedoch vom Rennleiter attackiert, nachdem dieser realisierte, dass er es mit einer Frau zu tun hatte. Sie erreichte dennoch das Ziel, obwohl der Rennleiter sie versuchte während des Marathons zu verdrängen.

Leistungsrelevante Unterschiede zwischen Frauen und Männer

Die anthropometrischen und physiologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Frauen haben im Vergleich zu Männern meist eine geringere Körpergröße, ein geringeres Körpergewicht, einen geringeren Muskelfaserdurchmesser, eine geringere Muskelmasse, eine geringere Konzentration von freiem Testosteron, ein kleineres Herz, eine größere Diffusionskapazität der Lunge, ein geringeres Blutvolumen, weniger Hämoglobinmasse und damit eine verminderte Sauerstofftransportkapazität und maximale Sauerstoffaufnahme. Die Testosteronkonzentration der Frau ist um 10-20 Mal niedriger als beim Mann. Hingegen ist die Östrogenkonzentration zyklusabhängig um 5-15 Mal höher als beim Mann. Die Muskelkraft ist abhängig vom Durchmesser der Muskelfasern. Der Muskelfaserdurchmesser der Frauen ist deutlich geringer als der von Männern. Hingegen hat die Frau deutlich höhere intramuskuläre und subkutane Fettspeicher als der Mann. Der daraus resultierende höhere Fettumsatz der Frauen bei Ausdauerbelastungen wurde in mehreren Untersuchungen bestätigt. Die höhere Fettoxidationsrate bei extensiven Ausdauereinheiten bedingt einen niedrigeren Kohlenhydratumsatz.

Geschlechtsspezifische Unterschiede im Kraft- und Ausdauertraining

Der geschlechtsbedingte Leistungsunterschied ist zwischen den verschiedenen Sportarten unterschiedlich hoch. In den kraftbetonten Sportarten ist die Leistungsdifferenz bis ins hohe Lebensalter deutlich höher als in den Ausdauer- und Schnelligkeitsdisziplinen. Die genannten Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben Konsequenzen für das Training und für die Adaptation. Männer trainieren im Vergleich zu Frauen aufgrund der höheren Muskelmasse mit höheren Lasten und erzielen aufgrund höherer Testosteronwerte einen schnelleren Muskelaufbau. Dies ist allseits bekannt. Aber welche Veränderungen müssen für das Ausdauertraining vorgenommen werden? Können Frauen mit der gleichen relativen Herzfrequenz (%HFmax) trainieren wie Männer, um vergleichbare Trainingswirkungen zu erzielen? Dieser Frage möchte ich mich zunächst zuwenden und anschließend auf weitere Aspekte wie dem Leistungs- und Erholungsverhalten bei hochintensiven Intervalleinheiten (HIIT) eingehen.

Das Herz der Frau – kleiner Motor mit hoher Drehzahl

Frauen weisen auf Grund ihrer kleineren Herzgröße eine höhere Herzfrequenz in Ruhe. Bei maximaler Anstrengung im Sport erreichen Frauen genauso hohe Herzfrequenzen wie Männer gleichen Alters, das heißt die maximale Herzfrequenz unterscheidet sich zwischen Frauen und Männern nicht. Allerdings gibt es Geschlechtsunterschiede in der Höhe der Herzfrequenz, wenn die Herzfrequenzwerte zur Laktatkonzentration in Beziehung gestellt werden wie dies Hottenrott und Neumann (2012) in einer Studie mit gut trainierten gleichaltrigen Läuferinnen und Läufer zeigen konnten. Die in die Studie eingeschlossenen Frauen und Männer absolvierten im Abstand von 12 Wochen im Rahmen einer Marathon-Vorbereitung einen Feldstufentest mit Laktat- und Herzfrequenz-Bestimmung. Bei vergleichbaren Laktatwerten ergaben sich signifikante Geschlechtsunterschiede. Die Läuferinnen hatten im Vergleich zu den Läufern bei gleicher Laktatkonzentration eine signifikant höhere Herzfrequenz. Die Differenz in der Herzfrequenz betrug im Mittel 10 Schläge/min bei Laktat 2 mmol/l und 7 Schläge/min bei Laktat 4 mmol/l. Bei der maximalen Herzfrequenz wurde kein Geschlechtsunterschied gefunden. Demzufolge benötigen Läuferinnen und Läufer unterschiedliche Vorgaben in der Höhe der Herzfrequenz insbesondere für den aeroben Trainingsbereich. Bezogen auf das Lauftraining lässt sich vereinfacht sagen, dass der kleinere Motor der Frau eine höhere Drehzahl erfordert, um eine vergleichbare Reizsetzungen wie beim Mann zu erzielen.

 

Die Hottenrott-Formel

Aus diesen und weiteren Erkenntnissen heraus wurde die Hottenrott-Formel erarbeitet. Sie dient der individuellen Bestimmung der Trainingsherzfrequenz (THF) für mehrere Trainingsbereiche (GA1, GA1-2 und GA2) unter Berücksichtigung von Alter, Leistungs- und Fitnessslevel (LF), Trainingsziel (TZ), Geschlecht (GF) und Sportart (SP).

Trainingsherzfrequenz = HFmax x 0,7 x Fitnesslevel (LFi) x Ziel (TZi) x Geschlecht (GFi) x Sportartfaktor (SPi)

Zu den einzelnen Faktoren:
HFmax = maximale Herzfrequenz. Präzise Trainingsintensitätsbereiche können vor allem dann berechnet werden, wenn die individuelle aktuelle HFmax bekannt ist. Ist dies nicht der Fall, sollten Erwachsene mit der Formel „208 – 0,7 x Lebensalter“ rechnen und Kinder bzw. Jugendliche mit der Formel „220 – Lebensalter“.

LFi = Leistungsfaktoren. Einsteiger setzen hier den Wert 1,0 ein, Fitnesssportler 1,03 und Leistungssportler 1,06.

TZi = Trainingsziel. Für das Fettstoffwechseltraining (GA 1) den Faktor 1,0 einsetzen, für das Training an der aeroben Schwelle (GA 1-2) den Faktor 1,1 und für intensives Tempodauerlauftraining an der anaeroben Schwelle eine (GA 2) den Faktor 1,2. Die berechneten Werte stellen jeweils die obere Grenze des Trainingsbereichs dar. Für die Festlegung des GA1-Trainingsbereichs werden vom berechneten Wert 15 Schläge/min abgezogen.

GFi = Geschlechtsfaktoren. Diese Variable ist nur für Frauen interessant, Männer setzen hier immer 1,0 ein. Bei Frauen richtet sich der Wert nach der Intensität des Trainings: Faktor 1,10 für eine niedrige, 1,06 für eine mittlere und 1,03 für eine hohe Intensität.
SPi = Sportartfaktor. Läufer:inen setzen hier eine 1,0 ein und Radsportler:innen den Faktor 0,92.

Zum Abschluss zur Verdeutlichung noch ein Beispiel für die Berechnung der drei Trainingsbereiche für eine 30-jährige Läuferin mit zwei Jahren Lauferfahrung (=Fitnesslevel), die ihre maximale Herzfrequenz nicht kennt.

Berechnung:

THF (GA1) = (208 – (0,7 x 30)) x 0,7 x 1,03 x 1,0 x 1,1 x 1,0 = 148 Schläge/min

THF (GA1-2) = (208 – (0,7 x 30)) x 0,7 x 1,03 x 1,1 x 1,06 x 1,0 = 157 Schläge/min

THF (GA 2) = (208 – (0,7 x 30)) x 0,7 x 1,03 x 1,2 x 1,03 x 1,0 = 167 Schläge/min

 

Unterschiede im Leistungs- und Erholungsverhalten zwischen Frauen und Männer

Spannende Ergebnisse konnten wir in einer eigenen randomisiert kontrollierten Laborstudie finden, wo wir gleich gut trainierte Frauen und Männer bei einem HIIT-Training auf dem Radergometer untersuchten, feststellen. Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei Wiederholungssprints hinsichtlich der Leistungsabnahme von Sprint zu Sprints. Frauen hatten einen deutlich geringeren Leistungsverlust. Diese Unterschiede bestätigen insbesondere bei kurzen aktiven Pausen (1 und 3 min) aber auch bei längeren Pausen (10 min) zwischen den Sprints. Auch fanden wir signifikante Unterschiede im Erholungsverlauf von Herzfrequenz, Laktat und subjektiver Beanspruchung.

 

Gesundheitlich profitieren Frauen mehr vom Sport als Männer

Wie es der Zufall oft so will, erreichte mich beim Schreiben dieses Artikels eine dpa-Anfrage zu aktuellen Forschungsergebnissen einer US-chinesische Studie mit mehr als 400.000 Personen über den Zeitraum von 1997 bis 2019. Danach müssen Frauen deutlich weniger Sport treiben, um daraus den gleichen gesundheitlichen Nutzen zu erzielen wie Männer. Eine maximale Senkung des Sterberisikos erreichten Männer, wenn sie rund 300 Minuten pro Woche sportlich aktiv waren, Frauen erreichten denselben Risikowert bereits nach 140 Minuten. Entsprechend den Studienergebnissen reduziert sich das Sterberisiko bei regelmäßiger sportlicher Betätigung in der Freizeit bei Männern um durchschnittlich 15 Prozent, bei Frauen um 24 Prozent, jeweils im Vergleich zu Menschen, die keinen Sport trieben.  Im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrug die Reduzierung durch Sport bei Männern 14 Prozent, bei Frauen sogar 36 Prozent. Ähnlich groß war der Unterschied bei regelmäßigem Krafttraining. Hier verringerte sich das Sterberisiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern um 11 Prozent, bei Frauen um 30 Prozent. Der Journalist wollte nun von mir eine sportwissenschaftliche Einordnung der Ergebnisse. Das Resultat der Studie ist für mich keine große Überraschung, denn die leistungsphysiologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männer (wie oben in diesem Artikel kurz dargelegt) und damit die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen bedeuten, dass gleiche sportliche Trainingsbelastungen bei Frauen höhere Reize bzw. höhere Anpassungsreaktionen auslösen als bei Männern. Frauen profitieren den Studienergebnissen zufolge bei einer bestimmten Dosis regelmäßiger körperlicher Betätigung in Bezug auf die Verringerung des kardiovaskulären und Gesamtsterblichkeitsrisikos verhältnismäßig stärker als Männer. Frauen erreichen gesundheitliche Effekte mit weniger Sport. Der in der Studie gefundene große Unterschied in der körperlichen Aktivität zwischen Frauen und Männern, könnte sich tendenziell auch durch ein Underreporting der befragten Frauen ergeben haben. Ähnliche Erkenntnisse haben wir aus anderen Studien.

Auf die Frau abgestimmte Trainingspläne sind notwendig!

Aus den genannten Gründen können Trainingspläne im Kraft- und Ausdauersport für Frauen und Männer nicht identisch sein. So müssen sich beispielsweise Halbmarathon- und Marathontrainingspläne mit Zielzeitvorgaben (z.B. < 2:00 h oder < 1:30 h bzw. und <4:00 h oder < 3:00 h) in vielen Trainingskennziffern wie Umfang, Intensität, Intervallpausen, Regenerationszeiten sowohl innerhalb einzelner Trainingseinheiten als auch im mehrwöchigen Trainingszyklus zwischen Frauen und Männern unterscheiden. In der täglichen Betreuung von Leistungssportler:innen ist dies seit Jahren für mich selbstverständlich, jedoch verwundert es mich, dass dies bisher nicht bei kommerziell zu erwerbenden Trainingsplänen oder in Trainingsbüchern zum Marathon oder Halbmarathon berücksichtigt wird. Auch wenn in den letzten Jahren viel über das zyklusbasierte Training geforscht wurde und prinzipielle Empfehlungen herausgearbeitet wurden, spiegeln sich diese nach wie vor nicht in den konkreten Inhalten und der Gestaltung der einzelnen Trainingseinheiten zwischen Frauen und Männern wieder. Wir benötigen folglich Trainingspläne für Frauen, die die physiologischen Voraussetzungen der Frau und gewonnene Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis für die Entwicklung deren sportlicher Leistung stärker als bisher einbeziehen.

 

Literatur:

Ji, H., Gulati, M., Huang, T. Y., Kwan, A. C., Ouyang, D., Ebinger, J. E., … & Cheng, S. (2024). Sex differences in association of physical activity with all-cause and cardiovascular mortality. Journal of the American College of Cardiology, 83(8), 783-793. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2023.12.019

Hottenrott, L., Möhle, M., Ide, A., Ketelhut, S., Stoll, O., & Hottenrott, K. (2021). Recovery from different high-intensity interval training protocols: comparing well-trained women and men. Sports, 9(3), 34. https://doi.org/10.3390/sports9030034

Hottenrott, K., Neumann, G. (2012) Geschlechtsspezifische Formel für optimale Trainingsherzfrequenzen. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie. 60 (3), 202-205.