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Wie es gelingt, trotz Verletzungspausen die Nerven zu
bewahren und innerlich in Balance zu bleiben.

von Dr. Sabine Nunius
veröffentlicht in der Ausgabe 1-24 der Athletik

Alle diejenigen, die sich für Bewegung begeistern können, verbinden Training und Wettkampf mit Aspekten wie Gesundheit, Spaß,  Abwechslung, spielerischer Herausforderung und Ausgleich. Deswegen sind Sportler alles andere als glücklich, wenn sie sich nach einer Verletzung auskurieren, schonen oder gar komplett „die Füße hochlegen sollen“. Kürzere Zeiten lassen sich meist recht gut überbrücken. Zur echten Herausforderung werden dagegen längere erzwungene Sportpausen. Besonders hart wird es, wenn solche Zwangspausen durch Verletzungen oder Krankheiten entstehen, die auch den restlichen Alltag stark einschränken.

Wie lässt sich am besten damit umgehen?
Leider betrifft das Thema Verletzung so gut wie jeden Sportler an irgendeinem Punkt seiner Karriere. Denn es ereignen sich jährlich
ca. 2 Millionen Sportverletzungen. Laut einem TK-Bericht sind die Beine „mit Abstand am häufigsten von Sportverletzungen betroffen, gefolgt von den Armen. Seltener sind Verletzungen in der Rumpfregion und am Kopf.1 Glücklicherweise fallen viele der daraus resultierenden Verletzungen eher geringfügig aus. Die damit einhergehenden Einschränkungen sind also von relativ kurzer Dauer. Sie lassen sich in der Regel mit Gedanken wie „noch 10 Tage und dann geht es wieder zurück ins Training“ oder „nicht mehr lange, dann bin ich wieder fit“ überstehen. Belastend wird es dann, wenn Verletzungen schwerwiegender ausfallen und lange andauern oder ihr Ausgang sogar komplett ungewiss ist. Meist ist es genau diese Unsicherheit, die die quälendsten und deprimierendsten Gedanken hervorruft. Weiß man zumindest, worauf man sich einstellen muss, kann man sich darauf vorbereiten und entsprechende Pläne machen, selbst wenn es sich um Zeiträume von mehreren Wochen oder Monaten handelt. Ist dagegen vollständig offen, wie lange es dauern wird, um zumindest halbwegs oder überhaupt wieder auf den Damm zu kommen, stellen sich neben den körperlichen Beschwerden schnell Zweifel, Frustration, Niedergeschlagenheit, Pessimismus und Hoffnungslosigkeit ein. Das sind glücklicherweise die Ausnahmen. In abgeschwächter Form treten derartige Reaktionen allerdings bereits bei Verletzungsphasen auf, die „nur“ einige Wochen dauern. Sie scheinen sich irgendwann trotzdem endlos hinzuziehen und ab einem gewissen Punkt nervt es nur noch, sich nicht so bewegen zu können, wie man es eigentlich möchte.

Was lässt sich in solchen langwierigeren Fällen tun und wie gelingt es, weder innerlich die Wände hochzugehen noch in Frustration oder gar Verzweiflung zu versinken?
Zunächst ist wichtig zu erkennen, was überhaupt los ist. Denn auf den ersten Blick sind ja nur das Bein, der Arm, die Schulter, das Knie etc. betroffen. Warum leidet gleichzeitig die Psyche und lässt uns niedergeschlagen und deprimiert oder gereizt und aggressiv werden? Und welche Reaktionen sind besonders typisch? Der Zusammenhang zu einzelnen Gefühlslagen ist vergleichsweise offensichtlich, andere sind dagegen weniger naheliegend. Daher besteht der erste Schritt darin zu erkennen, welche Auswirkungen eine Verletzung
hat – und zwar auf physischer wie auf psychischer Ebene. Anschließend kann begonnen werden, für beide Bereiche Lösungen bzw. Linderung zu finden. Achtung: Psychische Reaktion setzen mitunter verzögert ein. Vor allem bei größeren Verletzungen ist anfangs viel zu entscheiden und zu organisieren. Dabei geht es um Fragen wie die korrekte Behandlungsform oder OP-Methode, die Planung der anschließenden Reha-Maßnahmen und die Neuorganisation des Alltags, etwa dann, wenn Dinge wie Autofahren temporär nicht möglich sind. In dieser Phase bleibt wenig Raum zum Denken! Zeit zum Denken und Nachgrübeln hat man dagegen umso mehr, sobald die neue Routine steht und es vorrangig darum geht, Geduld zu haben und abzuwarten, dass die verletzten Strukturen sich regenerieren. Das ist
der Zeitpunkt, an häufig düstere Gedanken oder Frustration eintreten. Diese sollten ebenso ernst genommen werden wie die rein physischen Beschwerden, da sie den Heilungsverlauf beeinflussen und maßgeblich zum generellen Wohlbefinden beitragen.

Psychische Reaktionen auf eine Verletzung
Welche Symptomatiken können durch die Verletzung ausgelöst werden und wie äußern sich die damit einhergehenden mentalen Belastungen?

Zu den häufigsten Reaktionen zählen:

  • Traurigkeit
  • Isolation
  • Verärgerung und Gereiztheit
  • Motivationsmangel
  • Wut
  • Frustration
  • Appetitveränderungen
  • Schlafstörungen
  • Teilnahmslosigkeit2

Bei einigen dieser Reaktionen ist der Zusammenhang sehr offensichtlich, andere Symptomatiken wie Schlafstörungen und  Appetitveränderungen bringt man dagegen nicht automatisch mit einer physischen Verletzung in Verbindung. Was lässt sich tun, wenn derartige Veränderungen oder Reaktionen bei sich oder bei anderen sichtbar werden? Zunächst ist zu betonen, dass solche Prozesse grundsätzlich „normal“ sind und bei sehr vielen Sportlern auftreten. Es handelt sich also weder um ein Zeichen von Schwäche, noch um einen Hinweis auf eine psychische „Störung“. Ebenso normal sind Schwankungen im Verlauf der Rehabilitation. Das bedeutet,  unterschiedliche Gefühlslagen wechseln sich in der Regel ab. Analog zum Körper treten bei der Stimmung Höhen und Tiefen sowie bessere und schlechtere Tage auf. Das ist Teil des Genesungsprozesses und für sich genommen kein Zeichen, dass eine  unterstützungs- oder gar behandlungsbedürftige Symptomatik vorliegt. Dennoch handelt es sich um höchst unangenehme  Empfindungen. Unabhängig von ihrer Intensität sollten mögliche psychische Begleiterscheinungen deshalb ernst genommen,
anstatt mit einem „wird schon wieder“ abgetan zu werden. Sehr viele Symptome legen sich zwar mit fortschreitender Genesung von selbst wieder; dennoch ist es möglich, dass einzelne Belastungen gravierender ausfallen und den Heilungsverlauf beinträchtigen. Vor allem bei schwereren Verletzungen wäre es daher wünschenswert, bei der Erstellung des Therapieplans einen mehrdimensionalen Ansatz anzubieten und mit dem Sportler in einen Dialog darüber zu treten, wie er die Lage sieht und in welchen Bereichen er sich Unterstützung wünscht. Dabei ist die Art der Kommunikation entscheidend: Ist ein Sportler angeschlagen und kämpft damit, gerade nicht zu „funktionieren“, ist das Letzte, was er hören möchte „na die Psyche macht gerade ja auch die Grätsche, da brauchst du dann die nächste Therapie“. Vielmehr geht es darum, zu signalisieren, dass es sich um eine schwierige Zeit handelt und das zentrale Anliegen darin besteht, alle Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich möglichst schnell eine Besserung einstellt. Psychische „Wellness“ ist ein Teil davon. Werden die entsprechenden Angebote in Anspruch genommen, bedeutet das, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Heilungsverlauf zu befördern. Was es dagegen nicht bedeutet, ist, sich psychische Schwäche oder ein Versagen eingestehen zu müssen oder gar in irgendeiner Hinsicht „zu spinnen“. Hier ist an einigen Stellen noch viel Aufklärungsarbeit notwendig!

Psychosomatik:
Wenn der Körper auf psychische Belastungen reagiert Warum ist das Wissen um die Zusammenhänge zwischen Psyche und Physis so wichtig? Dauern Verletzungsphasen länger an und gehen sie mit psychischen Symptomen einher, dann schlagen diese sich letzten Endes wiederum auch auf die Physis nieder. Die beiden Bereich beeinflussen sich also gegenseitig. Das bedeutet, es bleibt meist nicht
bei der gedrückten oder genervten Stimmung, sondern die Stimmungslage hat Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden. Zu diesen Folgen zählen unter anderem Unruhezustände und Verspannungen. Herman und Eberspächer beobachteten in einer Studie mit 59 langzeitverletzten Kaderathleten aus 10 Sportarten sogar „diverse Belastungsreaktionen, vor allem Ängste, Niedergeschlagenheit,
psychosomatische Unruhe.2 Gerade Phänomene wie innere Unruhe und Anspannung sind höchst störend und können Angst erzeugen. Treten in der (körperlichen) Ruhe plötzlich Stresssymptome wie ein erhöhter Puls, ein Gefühl der Beklemmung, eine grundsätzliche
Unruhe oder starke Spannungen auf, führt das potenziell zu großer Besorgnis, insbesondere dann, wenn ein Sportler solche Reaktionen zuvor noch nie erlebt hat und sie somit nicht einschätzen und mit ihnen umgehen kann. Schnell stellen sich dann Gedanken ein wie die Frage, ob zusätzlich zur Verletzung eine internistische Erkrankung vorliegt, die bislang übersehen wurde. Im Zweifelsfall sollte dies
natürlich abgeklärt werden. Häufig sind die Reaktionen aber tatsächlich „nur“ psychisch bedingt, damit aber trotzdem absolut real. „Psychisch bedingt“ bezieht sich lediglich auf den Auslöser, physisch spürbar und nachweisbar vorhanden sind sie dennoch! Die gute Nachricht: Psychosomatische Phänomene sind zwar extrem unangenehm, in aller Regel liegt ihnen aber keine ernsthafte somatische Erkrankung zugrunde und es existieren effektive Behandlungsansätze. Allerdings erfordern diese bei den Betroffenen oft ein Umdenken. Sie müssen zunächst erkennen, dass der Körper sehr heftig auf hohe psychische Anspannung reagieren kann und dass sich eine Daueraktivierung des autonomen Nervensystems auf physischer Ebene erstaunlich stark bemerkbar machen kann. Die Symptome sind dabei in gewisser Hinsicht „kopfgemacht“, lassen sich aber trotzdem nicht wie auf Knopfdruck durch den Kopf wieder ausschalten. Vielmehr müssen beide Dimensionen einbezogen werden, Körper und Geist. Die Beruhigung und Wiederherstellung der Balance erfolgt deshalb sowohl „top-down“ als auch „bottom-up“, sprich vom Gehirn zum Körper und vom Körper in Richtung Gehirn.

Was hilft in solchen Momenten? Ein erster Schritt kann darin bestehen, die eigenen Ängste zu teilen und über die Belastungen zu sprechen. Versucht man, die Symptome zu verstecken – sei es aus Angst, dass doch etwas „richtig Schlimmes“ dahintersteckt oder aus Scham, „den Kopf nicht mehr im Griff zu haben“ – verstärken sie sich in der Regel immer mehr. Mit anderen Worten: Je mehr man etwas „nur noch weghaben will“, desto intensiver wird es. Hilfreicher ist es, den Fokus auf einen „hin-zu-Zustand“ zu richten, also aufhören, das Ungewünschte zu bekämpfen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, wo man wieder hinmöchte, in diesem Fall zu mehr Balance, Ruhe und Ausgleich. Für diesen Schritt braucht es am Anfang meist Unterstützung und Beratung, um die individuell passenden Strategien zu finden und einzuüben. Wer sind in derartigen Situationen gute Ansprechpartner? Neben dem eigenen Umfeld sind vor allem die betreuenden Trainer sowie die behandelnden Ärzte und Therapeuten gefragt. Dabei kann es hilfreich sein, gezielt Experten auszuwählen, die Erfahrung in der Betreuung von (verletzten) Sportlern haben. Idealerweise arbeiten diese wiederum mit den Therapeuten für den physischen Bereich zusammen und erstellen so ein multimodales Gesamtkonzept.

Individuelle Ansätze und Lösungsstrategien erstellen
In der Praxis erweist sich eine solche mehrdimensionale Unterstützung leider nach wie vor als Herausforderung. Während im Profibereich viele Athleten über einen ganzen Stab an Betreuern verfügen, gestaltet sich die Infrastruktur im (ambitionierten) Hobbybereich weitaus dünner. Mit anderen Worten: In der Regel muss ein geeignetes Netz an Unterstützern erst aufgebaut werden. Hat man akut mit einer Verletzung zu kämpfen, bedeutet das eine Zusatzaufgabe, die Energie raubt. Um die Sache zu erleichtern, lohnt es sich, auf bestehende Kontakte der bisherigen Coaches oder Therapeuten zurückzugreifen. Viele von ihnen kooperieren mit anderen Experten oder stehen mit ihnen im Kontakt, was einen schnellen, unkomplizierten Austausch ermöglicht. Ich selbst habe meine Praxis beispielsweise mittlerweile im gleichen Gebäude wie ein Physiotherapeut, so dass für die Zusammenarbeit lediglich ein Stockwerk überwunden werden muss! Bei der mentalen Unterstützung haben sich darüber hinaus Online-Formate bewährt. Diese haben den großen Vorteil der örtlichen Unabhängigkeit. Gerade dann, wenn eher punktuelle Unterstützung notwendig ist, um einzelne Tiefs zu überwinden, kann das eine weitere Option sein, um die eigene Balance wiederherzustellen.

Geht es um konkrete Methoden und Ansätze, gibt es keinen allgemeinen Königsweg. Vielmehr müssen die Maßnahmen an die persönliche Situation sowie die individuellen Bedürfnisse und Präferenzen angepasst werden. Grundsätzlich zielführend ist aber eine Konzentration auf den eigenen Umgang mit der Situation sowie auf Methoden und Ansätze, die beispielsweise dabei unterstützen, quälende Gedanken zu reduzieren, Sorgen besser zu bewältigen und zu verhindern, dass die eigene Stimmung noch weiter abrutscht. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist der Abbau von Anspannung, Nervosität und Unruhe. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn zuvor intensive Bewegung das Mittel der Wahl zum Spannungsabbau war, diese allerdings temporär nicht möglich ist. In solchen Fällen tragen Maßnahmen wie Atemübungen, Visualisierungen und alternative Bewegungsformate mit geringerer Intensität dazu bei, die Symptome zu lindern und so besser erträglich zu machen. Was genau eingesetzt wird, sollte auf den einzelnen Sportler angepasst und deshalb individuell erarbeitet werden!

Aus der Praxis: Was hilft?
Trotz der Notwendigkeit der individuellen Anpassung gibt es einzelne Probleme und Fragestellungen, die immer wieder auftreten und sehr viele verletzte Sportler betreffen. Abschließend daher einige Impulse, wie typische Problem- und Konfliktsituationen aussehen und welche Lösungsansätze sich in der Praxis bewährt haben.

Warum gerade jetzt? Den idealen Zeitpunkt gibt es nicht
Kommt es zu einer Verletzung, ist der erste Gedanke meist: „Verdammt, warum gerade jetzt???“ In der Tat ist es extrem ärgerlich, wenn die Verletzung ausgerechnet vor einem wichtigen Wettkampf oder einer bedeutenden Meisterschaft eintritt und eine Teilnahme unmöglich macht. Doch selbst wenn dieser Faktor wegfällt: „Günstig“ ist der Zeitpunkt für eine Verletzung nie. So stehen in der Wettkampfpause meist andere Pläne an, bei denen es ebenfalls enorm störend ist, außer Gefecht gesetzt zu sein. Es hilft, sich diese Tatsache ins Gedächtnis zu rufen und zu versuchen, die Gegebenheiten zu akzeptieren, anstatt über die Umstände und das eigene Pech nachzugrübeln. Bis zu einem gewissen Grad ist Ursachenforschung sicherlich sinnvoll, beispielsweise um festzustellen, ob Aspekte wie unzureichendes Aufwärmen, unsaubere Technik, mangelnde Konzentration oder Selbstüberschätzung für die Verletzung verantwortlich waren oder maßgeblich dazu beigetragen haben. Trifft dies zu, sollte daraus für die Zukunft gelernt werden. Nichtsdestotrotz ist der Unfall zu diesem Zeitpunkt schon geschehen. Übermäßiges Hadern mit sich selbst, Selbstvorwürfe und Selbstkritik ändern daran nichts mehr. Nach einem kritischen Blick auf die Ursachen der Situation lohnt es sich deshalb, einen Schlussstrich zu ziehen und zu versuchen, sich wieder auf die Zukunft zu konzentrieren. Das gilt unabhängig davon, ob die Verletzung selbst „verschuldet“ war, etwa durch mangelndes Aufwärmen oder Selbstüberschätzung, oder ob es sich schlichtweg um Pech gehandelt hat. Ärger und Frustration über das Geschehene dürften in beiden Fällen vorhanden sein. Sie ändern aber weder den Ist-Zustand, noch wirken sie sich förderlich auf die eigene Stimmung aus. Es hilft, sich diese Tatsache vor Augen zu führen, und Gedankenschleifen, die sich auf die Vergangenheit beziehen, aktiv zu unterbrechen.

Mir fällt die Decke auf den Kopf…: Alternative und ergänzende Beschäftigungsformen
Das Schwierige daran: Derartige Gedankenspiralen stellen sich vor allem dann ein, wenn viel Zeit zum Nachdenken vorhanden ist. Fallen die gewohnten Trainingszeiten weg, bleibt mehr Zeit zum Grübeln und Sinnieren als dem betroffenen Sportler lieb ist. Schnell gesellt sich außerdem ein zweites Problem hinzu: die Langeweile. Wer sportlich aktiv ist oder sogar Leistungssport betreibt, hat in der Regel einen eng durchgetakteten Tagesablauf. Training und Wettkämpfe verleihen dem Alltag eine feste Struktur und nehmen den Großteil der neben Beruf und anderen Verpflichtungen verbleibenden Freizeit in Anspruch. Bremst uns eine Verletzung aus, fallen all diese Termine auf einen Schlag weg, möglicherweise „fehlt“ durch eine Krankschreibung sogar die Beschäftigung und Ablenkung durch die Arbeit! Was bleibt, ist viel ungefüllte Zeit. Grundsätzlich dürfte „mehr Freizeit“ ein Grund zur Freude sein. Ließe sich diese nach Belieben ausgestalten, würden die meisten Sportler wohl innerlich „hurra“ schreien, anstatt sich darüber zu beschweren. Allerdings sind viele Sportler Fans von eher aktiven Beschäftigungen – vieles von dem, was sie gerne tun würden, fällt damit also flach. Fällt eine Verletzung so heftig aus, dass zudem beispielsweise Autofahren unmöglich ist und jeder Gang aus dem Haus eine größere Aktion darstellt, verringert sich der eigene Bewegungsradius und damit das, was an Beschäftigung und Freizeitgestaltung realistisch machbar ist, drastisch. Eine gewisse Zeit des Tages lässt sich dann noch gut mit „ruhigen“ Beschäftigungen wie Lesen oder Filmschauen überbrücken. Um tagesfüllende Aktivitäten handelt es sich dabei jedoch nicht und irgendwann wird selbst die Lieblingsserie oder der Lieblingsautor langweilig. Darüber hinaus stellt sich bei vielen nach einiger Zeit zunehmend der Wunsch ein, endlich wieder etwas „Sinnvolles“ zu tun, anstatt die Zeit mit Netflix und Co. zu verbringen. Was tun? Das Dilemma, dass die Dinge, die gefühlt am meisten Spaß machen würden (Bewegung!) nicht möglich sind, bleibt bestehen. Daher hilft nur die Konzentration auf alternative Beschäftigungen, die Spaß machen und sich ggf. „sinnvoll“ anfühlen. Mit einer gewissen Offenheit und Kreativität ergeben sich hier vielfältige Möglichkeiten! So lässt sich an frühere Interessen anknüpfen oder neue Aktivitäten entdecken, darunter etwa kreative Tätigkeiten, intensiver eine Sprache zu lernen oder ein Instrument zu spielen. All das, was früher mit dem Gedanken „das mache ich mal, wenn ich viel Zeit habe“ aufgeschoben wurde, kommt jetzt zum Zuge! Ebenso können lange geplante (und aus Zeitmangel stets vertagte) Projekte angegangen werden, wie beispielsweise die Erstellung einer eigenen Website oder eines Blogs.

Zusätzliche Ablenkung bieten Treffen mit Freunden und Verwandten. Haben die Gespräche bei diesen Treffen die Tendenz, immer wieder zur Verletzung zurückzukehren und den Fokus darauf zu lenken, bietet es sich an, sich gezielt für bestimmte Aktivitäten zu verabreden, etwa gemeinsames Kochen oder einen Spiele- oder Filmabend.

Zeit mit Mannschaftskameraden und Freunden
Zeit mit anderen Menschen umfasst auch die Kontakte zu Teamkollegen und befreundeten Sportlern. Dieser Punkt kann in der Verletzungsphase jedoch ein heikles Thema darstellen. Warum? Ist die Teilnahme an Training und Wettkämpfen unmöglich, fallen viele Sozialkontakte weg. Wie dieser Wegfall am besten zu kompensieren ist, muss individuell beantwortet werden. Allerdings sind dabei teils enge Grenzen gesteckt, denn die Optionen sind stark davon abhängig, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen überhaupt möglich ist. Selbst wenn sich alle Beteiligten gerne außerhalb des Trainings treffen würden, um den Kontakt aufrechtzuerhalten, lässt die Zeit das oft nicht zu. Denn in der Regel ist es so, dass die befreundeten Teamkollegen selbst beruflich eingespannt sind und im privaten Bereich zahlreiche Termine und Verpflichtungen haben. Für alle fest reserviert sind nur die Trainingszeiten, die unter normalen Umständen gleichzeitig Gelegenheit für den sozialen Kontakt und Austausch untereinander bieten. Kann ein Team-Mitglied daran nicht teilnehmen, bräuchte es also zusätzliche Zeitfenster. Das kann funktionieren, allerdings sollte man sich nicht darauf verlassen, so ärgerlich und enttäuschend das im ersten Moment sein mag. Es hilft dann, zu hinterfragen, ob und in welchem Maße der eigene Frust gerechtfertigt ist und ob man es beispielsweise selbst einrichten könnte oder wollte, einen weiteren Abend pro Woche für Treffen und Austausch zu reservieren, wenn ein anderer Teamkollege betroffen wäre. Ist die Antwort auf diese Frage eher ein „Nein“, sollte das Gleiche nicht von anderen eingefordert werden. Zwischenlösungen können darin bestehen, regelmäßiger zu telefonieren – das geht über Headset beispielsweise auch dann, wenn einer der Gesprächspartner auf der Heimfahrt im Auto sitzt und so Zeit zum Sprechen hat! Sind Termine für den direkten Austausch schwer zu organisieren, bieten Messenger-Dienste und Sprachnachrichten, die zu jeder Zeit abgehört werden können, eine sinnvolle Option des „asynchronen“, also zeitversetzten, Austausches. Dieser kann den direkten Kontakt zwar sicherlich nicht komplett ersetzen, aber zumindest dazu beitragen, dass sich der verletzte Sportler weniger ausgegrenzt und isoliert fühlt.

Ein weiterer potenzieller Konfliktherd: die Gesprächsthemen bei gemeinsamen Treffen. Dieser Aspekt mag zunächst übertrieben klingen, führt in der Praxis aber häufig zu Problemen. Unter Sportsfreunden ist es unter normalen Umständen üblich, über den eigenen Sport, das Training und anstehende oder vergangene Wettkämpfe zu sprechen. Diese Aspekte verbinden schließlich! Ist einer der Sportler außer Gefecht gesetzt, kann es allerdings vorkommen, dass ihn diese Themen plötzlich nerven und er gar nicht hören möchte, wie genial die anderen beim letzten Wettkampf performed haben oder wie die Planungen für das große Jahreshighlight laufen, an dem er nicht teilnehmen kann. An dieser Stelle braucht es Fingerspitzengefühl und Empathie von beiden Seiten. Der Verletzte muss sich darauf einstellen, dass das Trainings- und Wettkampfgeschehen für die anderen weiterhin ein großes Thema ist und dabei mitunter den eigenen Frust herunterschlucken. Umgekehrt ist es hilfreich, wenn die Teamkollegen sich ebenfalls auf die Situation einstellen und beispielsweise darauf verzichten, ausgiebig davon zu schwärmen, wie toll eine Veranstaltung war oder wie großartig die eigene Form gerade ist.

Ebenso großes Konfliktpotenzial bieten, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, beständige Nachfragen nach dem Befinden, Durchhalteparolen sowie gute Tipps. Wohldosiert sind sie sicherlich hilfreich und ein Zeichen, dass der andere am eigenen Wohlbefinden interessiert ist. In einem Übermaß können sie jedoch erheblich nerven. Weshalb? Ist offensichtlich, dass sich eine Verletzung noch sehr, sehr lange hinziehen wird und sich eine Besserung nur in kleinsten Schritten einstellt, kommt zwangsläufig auf die Frage: „Na, wie geht’s denn mittlerweile?“ irgendwann eine Reaktion wie: „Wie soll’s denn schon gehen – weiterhin sch***, siehste doch“. Sind beide Gesprächspartner in entsprechender Stimmung, kann sich aus einem solchen, grundsätzlich harmlosen Gesprächsaufhänger ein größerer Streit entspinnen. Gleiches gilt für Durchhalteparolen wie „Kopf hoch, das wird alles schon wieder“. Optimismus und ein Blick nach vorne sind sicherlich sinnvoll. In echten Tiefphasen fällt es allerdings schwer, diese Perspektive einzunehmen und entsprechende Aufforderungen werden schnell als Kritik aufgenommen. Zudem gibt es Situationen, in denen es alles andere als sicher ist, dass „alles wieder wird“, und vielmehr im Raum steht, dass die Verletzung so gravierend ausfällt, dass Sport auf dem vorherigen Niveau nie wieder möglich sein wird. In solchen Momenten ist es oft besser, nichts zu sagen oder sein Verständnis zum Ausdruck zu bringen, dass die Lage gerade schwierig ist, anstatt Weisheiten zu zitieren, die eher an Kalendersprüche erinnern. Zurückhaltung ist ebenso bei guten Tipps geboten. Verfügt man selbst über Expertenwissen oder essentielle Informationen, die wirklich weiterhelfen könnten, „darf“ und soll dieses Wissen selbstverständlich angeboten werden. Dennoch steht es dem Betroffenen frei, diesen Ratschlag anzunehmen. Bei allem, was darüber hinausgeht, ist in der Regel Zurückhaltung die bessere Wahl. Vermutlich muss man die Situation einmal selbst erlebt haben, um sich vorstellen zu können, WIE viele gute Tipps man plötzlich bekommt, wenn die Dinge über längere Zeit hinweg unrund laufen. Überspitzt formuliert hat auf einmal so gut wie jeder einen Geheimtipp parat oder kennt jemanden, der jemanden kennt, der genau die gleiche Verletzung hatte und damit bei Dr. XY war oder Therapie Z in Anspruch genommen hat. Als besonderes „Highlight“ werden diese Erzählungen oft mit detailreichen Berichten darüber ausgeschmückt, was beim Verwandten/Bekannten/Freund/… alles schief gegangen ist und wie furchtbar doch alles war. Alternativ bekommen die Betroffenen zu hören, dass das, was sie aktuell tun, komplett kontraproduktiv sei und sie es doch lieber mit A, B, C versuchen sollten. Wie gesagt: Gut gemeint sind diese Tipps wohl alle. Wird der Verletzte bereits von Experten betreut und ist damit grundsätzlich zufrieden, braucht es keine weiteren Tipps! Zeigt sich also, dass der Bedarf an Ratschlägen gerade mehr als gut gedeckt ist, lohnt es sich lieber auf andere Themen umzuschwenken. Denn die eigene Gesundheit spielt in Verletzungsphasen ohnehin schon eine übergeordnete Rolle und nimmt durch Therapeuten- und Arztbesuche viel Zeit in Anspruch. Für die mentale Regeneration ist es daher eine willkommene Auszeit, wenn sich in der Freizeit möglichst viel um andere Dinge dreht!

Erste Schritte zurück: Die (mentale) Rückkehr in den Sport
Geht es nach der Akutphase zurück in Richtung Wiederaufbau und erneute Aufnahme des Trainings, stehen neue Herausforderungen bevor. Dabei muss jeder Einzelne für sich entscheiden, wie die konkreten Schritte aussehen und ab wann etwa das gemeinsame Training wieder besucht wird. Je nach Leistungsklasse erfolgt diese Entscheidung allerdings ohnehin durch das Trainer- und Therapeutenteam. In den unteren Klassen liegt die Frage dagegen meist im Ermessen des Sportlers. Für den Weg zurück gibt es zwei grundsätzliche Varianten, bei denen individuell abzuwägen ist, was für einen selbst besser funktioniert.

  1. Frühzeitige Rückkehr zum gemeinsamen Training. Diese Variante bietet den Vorteil, früher wieder mehr soziale Kontakte zu haben und im Team eingebunden zu sein. Allerdings besteht die Gefahr, zunächst von der eigenen Leistung her nicht mithalten zu können und so die bestehenden physischen Defizite deutlich vor Augen geführt zu bekommen. Dabei ist es individuell verschieden, wie gut ein Sportler damit umgehen kann, ob er also das gemeinsame Training trotzdem genießt, oder ob er sich in erster Linie darüber ärgert, dass die eigene Form noch so weit hinter dem zurückliegt, was früher möglich war.
  2. Rückkehr zum gemeinsamen Training erst nach Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit. Ein späterer Wiedereinstieg bietet den offensichtlichen Vorteil, dass zunächst die eigene Form ohne „Zuschauer“ und die entsprechenden Kommentare aufgebaut werden kann. Nachteilig ist, dass die sozialen Kontakte und gemeinsamen Termine zunächst weiterhin wegfallen.

Jede der beiden Optionen birgt Vor- und Nachteile, von daher gibt es hier kein klares „richtig“ oder „falsch“, sondern lediglich ein individuelles Abwägen der eigenen Prioritäten und Vorlieben.

Ein weiterer Punkt der zu bedenken ist: Die mentale Rückkehr in den Sport. Hat sich die Verletzung im Training oder Wettkampf ereignet und zu einer sehr langen Auszeit geführt, braucht neben dem Körper auch die Psyche eine Zeit der Wiedereingewöhnung. So unvorstellbar es für manche klingen mag: Die ersten Schritte zurück sind häufig mit großer Angst verbunden. Selbst wenn es von ärztlicher Seite her grünes Licht für die Belastung gibt und zahlreiche „Trockenübungen“ in Form physiotherapeutischer Übungen vorgeschaltet wurden, besteht bei der Wiederaufnahme des „echten“ Trainings oft eine Blockade im Kopf. Die Betroffenen trauen sich beispielweise nicht, das Gelenk oder die Sehne voll zu belasten, obwohl sie wissen, dass es grundsätzlich wieder sicher möglich ist. Letztendlich bleibt auch nur die Option, es irgendwann wieder in der Praxis auszuprobieren und darauf zu vertrauen, nur dass die vormals verletzte Struktur wieder hält. In dieser Phase helfen eine gewisse Nachsicht und Geduld mit sich selbst. Ich erlebe häufig, dass Sportler mit sich selbst hadern, weil bei ihnen „der Kopf noch nicht wieder mitspielt“. Ich versuche, in solchen Fällen zu beruhigen und zu vermitteln, dass bei schwerwiegenden Verletzungen die Psyche ebenfalls einen „Treffer“ abbekommen hat und Zeit braucht, um sich zu regenerieren. Oder in den Worten von Markus Klingenberg: „Eine Sportverletzung betrifft nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Die eigene Verletzlichkeit zu spüren, den eigenen Ansprüchen vielleicht nicht gerecht zu werden, ein unerwarteter Rückschlag – Sportverletzungen müssen nicht nur körperlich verarbeitet werden, sondern auch mental. Auch hier gibt es wieder die Ebenen Trainer/Sportler, Therapeut/Sportler, aber vor allem auch die Ebene der Kommunikation.4

Eine gute und belastbare Kommunikation mit dem Betreuerteam lohnt sich davon abgesehen in vielerlei Hinsicht und stellt einen wertvollen Baustein dar, wenn es darum geht, Durststrecken zu überwinden und zurück zu neuer Stärke zu finden.

Zwischen Ermunterung und sanftem Bremsen – effektive Zusammenarbeit mit Therapeuten
Therapeuten und andere Behandler können dabei in zweierlei Hinsicht besonders effektiv unterstützen. Vor allem dann, wenn sie über eigene Erfahrungen im Sport verfügen oder viel mit Sportlern zusammenarbeiten, wissen sie, wie die Betroffenen grundsätzlich ticken und können nachvollziehen, warum es für einen Sportler so frustrierend sein kann, „seine Sportart“ nicht ausüben zu dürfen. Ebenso wissen sie um die Stolpersteine, die sich auf dem Weg zurück ergeben können. Verbreitet sind vor allem zwei Szenarien:

  1. Der Sportler ist von den Folgen seiner Verletzung noch so verunsichert, dass er Angst hat, die verletzte Struktur überhaupt zu belasten und so möglicherweise eine Verschlechterung oder erneute Verletzung zu riskieren. In diesen Fällen ist es wichtig, dass der Physiotherapeut oder Coach dabei unterstützt, das Vertrauen in den eigenen Körper und die eigenen Fähigkeiten neu aufzubauen. Das kann unter Umständen auch bedeuten, den Betroffenen zu ermuntern, gewisse Übungen auszuprobieren, die er sich aktuell selbst noch nicht zutraut.
  2. Der Sportler ist mit der Geschwindigkeit der Steigerungen unzufrieden und neigt dazu, sich zu überlasten. Hier gilt es, den Athleten zu bremsen und ihm vor Augen zu führen, dass er auf diesem Weg den Heilungsverlauf nur verzögert. Ist der Sportler von der aktuellen Situation stark genervt und entsprechend gereizt, kann dies einiges diplomatisches Geschick erfordern.

Die Basis für eine sinnvolle Unterstützung ist in jedem Fall ein vertrauensvolles Verhältnis. Befürchtet der Sportler, nicht ernst genommen oder sogar ausgelacht zu werden, wenn er scheinbar „irrationale“ Ängste äußert, wird er versuchen, seine Unsicherheit zu überspielen und beispielsweise möglichst unauffällig Schonhaltungen einnehmen oder Ausreden nutzen, um bestimmte Übungen zu umgehen. Fühlt er sich dagegen gut aufgehoben und hat den Eindruck, ehrlich sagen zu können, was ihn bewegt, lassen sich gemeinsam Lösungswege finden. Diese können mitunter durchaus unkonventionell ausfallen!

Gegenseitiges Vertrauen braucht es ebenso, wenn es darum geht, den Sportler noch etwas zurückzuhalten. Glaubt der Sportler, der Therapeut wolle ihn nur ausbremsen oder verstehe nicht, warum ihn die Situation derart frustriert, ist die Zusammenarbeit tendenziell ein Gegeneinander statt  ein Miteinander. Im Idealfall gelingt es dem Therapeuten deshalb zu vermitteln, dass er die Lage emotional betrachtet vollkommen versteht und ebenfalls alles daran setzt, möglichst schnell eine Besserung herbeizuführen. Kann sich der Sportler zudem darauf verlassen, dass klare Gegenempfehlungen nur dann ausgesprochen werden, wenn der Therapeut wirklich ein Risiko sieht, fällt es leichter, diese (zähneknirschend) zu akzeptieren und sich daran zu halten. In derartigen Fällen kommt zudem die Erfahrung des Behandlers ins Spiel: Arbeitet dieser vorrangig mit Nicht-Sportlern, sind zwangsläufig die Erfahrungswerte geringer, was einem prinzipiell gut durchtrainierten Athleten ab wann wieder zumutbar ist. Bewegt sich der Therapeut dagegen selbst in einem Sportlerumfeld und/oder hat Erfahrungen im Bereich des Leistungssports gesammelt, ist die Herangehensweise häufig eine andere. Bei schwerwiegenderen Problematiken kann es sich daher lohnen, zumindest punktuell Coaches, Therapeuten und Ärzte mit diesem spezifischen Schwerpunkt zu Rate zu ziehen!

„Ich hab doch fast nichts gemacht…“: Die richtige Dosis
In der Wiederaufbauphase stellt sich darüber hinaus oft die Frage nach Bewegungsalternativen, vor allem dann, wenn die Hauptsportart noch nicht wieder ausgeübt werden kann. Alternative Optionen tragen in solchen Fällen dazu bei, das Fitnesslevel zu steigern und die eigene Stimmung zu heben. Häufig fühlt es sich fast wie eine Befreiung an, nach längerer erzwungener Untätigkeit, wenigstens „irgendwas“ tun zu können, also seit langem wieder einmal zu schwitzen und zu fühlen, wie die Muskeln arbeiten. Was realistisch umsetzbar ist, hängt dabei stark von den persönlichen Voraussetzungen und Umständen ab. Offensichtliche Varianten für alternative Bewegungsformen sind diverse Stretching- bzw. Gymnastikformate, dosiertes Krafttraining sowie unterschiedliche Varianten von Aquafit. Sie alle bieten potenzielle Wege aus der „Bewegungslosigkeit“ und wirken damit Unzufriedenheit und Gereiztheit entgegen. Einziger Haken an der Sache: Meist sind die neuen Bewegungsformen mit ungewohnten Belastungen verbunden. Das bedeutet, dass der Einstieg unbedingt dosiert erfolgen sollte. Das ist leichter gesagt als getan! In der initialen Begeisterung, endlich wieder Sport in irgendeiner Form betreiben zu dürfen, ist es verlockend, sich regelrecht auf die neue Aktivität zu stürzen und Stunden damit zu verbringen. Das ist mehr als nachvollziehbar! Allerdings kommt dann leider meist die Quittung in Form einer Überlastung von Körperteilen, mit denen man zuvor keine Probleme hatte. Von daher: Selbst wenn sich das „Training“ nur mäßig anstrengend anfühlt und kein Vergleich zu dem ist, was sonst an Umfängen absolviert wird – eine gewisse Zurückhaltung am Anfang lohnt sich! So lassen sich Überlastungen vermeiden und der Wiederaufbau von Fitness und Leistungsfähigkeit verläuft deutlich schneller, als wenn es durch diverse Hauruck-Aktionen wiederholte Rückschläge gibt. Je besser und vertrauensvoller sich die Zusammenarbeit mit Trainern und Therapeuten gestaltet, desto leichter lassen sich diese bereits im Vorfeld abfangen . Bestenfalls haben die Betreuer sogar kreative Ideen für alternatives Training aus ihrer eigenen Erfahrung oder sind bereit dazu, gemeinsam an neuen Möglichkeiten zu basteln!

Gleiche Erfahrungen im selben Bereich erweisen sich auch beim abschließenden Schritt, der Rückkehr zum (Wettkampf-)Sport, als enorm wertvoll. Ich habe es in meinem Umfeld im Lauf der Zeit mehrfach erlebt, dass es zu Überlastungen und anschließenden Konflikten und Diskussionen zwischen Sportlern und Betreuern kam, die in einem erheblichen Maße aus Missverständnissen resultierten. Häufigste Ursache: unklare Empfehlungen. Formulierungen wie „halt dich noch bisschen zurück“ oder „mach nicht zu viel“ sind höchst dehnbar und stark von der eigenen Ausgangssituation sowie dem subjektiven Empfinden abhängig. Während für den einen „sich schonen“ bedeutet, maximal spazieren zu gehen, sieht der andere es noch als Schonung, im GA1-Bereich mehrere Kilometer zu joggen.

Trainiert der Sportler für seine Verhältnisse tatsächlich „wenig“, provoziert so aber unwillentlich eine Überlastung und wird hinterher vom Coach oder Therapeuten dafür kritisiert, ist der Streit vorprogrammiert. Diesem lässt sich vorbeugen! Anstatt vage Empfehlungen auszusprechen, sollten konkrete Vorgaben in Form von Zahlenwerten und Umfängen erfolgen. So haben beide Seiten Klarheit und der Sportler kann sich nach den Vorgaben richten. An dieser Stelle ein zusätzlicher Tipp für betroffene Sportler: Herrscht Unklarheit darüber, was genau in welchem Umfang gemacht werden „darf“ oder sollte: Unbedingt nachfragen! Auf diese Weise lässt sich viel Ärger und Frust vermeiden.

Die Perspektive neu ausrichten
Mit Hilfe dieser Bausteine bleibt eine Verletzung zwar nach wie vor ein Problem und großes Ärgernis, allerdings fällt es leichter, damit umzugehen und zu verhindern, dass die eigene Stimmung komplett ins Negative abrutscht. Zweifellos wird es bei langen Verletzungsperioden immer wieder Momente geben, die sich unangenehm, nervig und frustrierend anfühlen. Allerdings ist es möglich, zu verhindern, dass die Verletzungsdauer zu einer mehr oder weniger durchgehenden mentalen Leidenszeit wird.

Schließen möchte ich daher mit einem Zitat des Tennisprofis Andy Murray, der selbst mit gravierenden Verletzungen zu kämpfen hatte und die Situation somit bestens kennt. Trotz aller Schwierigkeiten ist es ihm gelungen, seinen Umgang damit zu finden und eine neue Sicht auf die Dinge zu gewinnen. Auf die Frage, was er während der Zeit seiner Verletzung gelernt hat, antwortete er in einem Interview:

„Dass Tennis nicht alles ist. Ich kann auch ohne Tennis glücklich sein. Das war mir vor der Operation gar nicht so bewusst gewesen. Davor ging es immer nur um Tennis und darum, wie ich möglichst schnell wieder fit werden und auf die Tour zurückkehren könne. Während ich mich nun von der OP erholte, verbrachte ich viel mehr Zeit mit meinen Kindern als zuvor. Das war wunderbar. Ich liebe es immer noch, auf dem Tennisplatz zu stehen, doch wenn ich in ein paar Monaten oder auch erst in drei Jahren endgültig aufhöre, werde ich ein glücklicher Mann sein.5

Mit diesem hoffentlich etwas versöhnlichen Gedanken wünsche ich allen betroffenen Lesern eine möglichst rasche Genesung sowie den Aktiven eine verletzungsfreie Zeit. An alle geht der Wünsch für viele angenehme Erfahrungen und schöne Erlebnisse auch außerhalb der Welt des Sports!

Fragen oder Interesse an einem weiteren Austausch? Ich freue mich über alle Nachrichten!

Sabine Nunius | sabine.nunius@sanu-training.com

1 https://www.tk.de/techniker/magazin/sport/sportverletzungen/die-haeufigsten-sportverletzungen-2006134, abgeruf. 15.01.2024
2 https://www.ncaa.org/sports/2014/11/5/mind-body-and-sport-how-being-injured-affects-mental-health.aspx, abgeruf. 15.01.2024
3 Hermann, H., & Eberspächer, H. (1994). Psychologisches Aufbautraining nach Sportverletzungen. München: BLV-Buchverl. sowie Hermann, H. D.; Eberspächer, H. (1994): Psychische Rehabilitation nach Sportverletzungen. In: J.R.Nitsch; R.Seiler (Hrsg.), Bewegung und Sport – Psychologische Grundlagen und Wirkungen. Band 4. St.Augustin: Academia.
4 https://physiotherapeuten.de/artikel/mentaler-umgang-mit-verletzungen/, abgeruf. 15.01.2024
5 https://www.socratesmagazin.de/andy-murray-interview-huefte-comeback-einsatz-fuer-gleichberechtigung, abgeruf. 15.01.2024