05601 58091 30
Mo. - Fr. 8.00 - 16.00 Uhr
Onlineberatung
Termin vereinbaren

Ist Krafttraining ungesund für das Herz?

Von Dr. Andreas Müller

Wenn ich im Anatomieunterricht das Herz-Kreislauf-System bespreche, setze ich gern ein Lehr-Video ein, in dem das Herz romantisch-verklärt als „der Motor des Lebens“ bezeichnet wird. Anschließend mache ich mir dann den Spaß, anzumerken, dass das Herz mit Liebe nicht viel mehr zu tun hat als die Leber oder die Bauchspeicheldrüse, weil es im wesentlichen eine Pumpe ist – es pumpt Blut durch die Gefäße. Während der so genannten Auswurfphase gelangt das Blut aus der linken Herzkammer (Ventriculus sinister) in die größte aller Arterien, die Aorta. Gleichzeitig pumpt die rechte Herzkammer (Ventriculus dexter) Blut in den Lungenarterienstamm (Truncus pulmonalis), während die beiden Vorhöfe des Herzens (Atrium sinistrum und Atrium dextrum) Blut aus den Lungen und den Hohlvenen ansaugen. In der nüchternen Medizinersprache wird das Herz deshalb auch gern als eine Druck-Saug-Pumpe bezeichnet.

Da keine Pumpe ohne Energieversorgung auskommt, hat das Herz seine eigene Energieproduktion gleich unmittelbar vor Ort, in Gestalt des sogenannten Sinusknotens. Dieser produziert bei einem gesunden Erwachsenen „in Ruhe“, also zum Beispiel im Schlaf, etwa 70 Impulse pro Minute, welche dann über die Vorhofmuskulatur zum sogenannten Atrioventricularknoten (AV-Knoten, auch Vorhof-Kammer-Knoten genannt, da er genau an der Grenze zwischen den Vorhöfen und den Kammern liegt) fließen, dort sozusagen „verstärkt“ und „synchronisiert“) werden und sich nachfolgend nach unten in Richtung Herzspitze bewegen. Über die sogenannten Purkinje-Fasern gelangen diese Stromimpulse dann in die Muskulatur, welche die Herzkammern umgibt. Sorry, soviel graue Theorie mussten Sie jetzt mal aushalten, ohne Schweiß kein Preis!

Apropos Schweiß: Soll das Herz schneller schlagen als 70 Mal pro Minute, weil wir körperlich aktiv sind, dann kommen die dafür notwendigen Reize vom Kreislaufzentrum des Gehirns in der Medulla oblongate (verlängertes Mark), die am Übergang vom Gehirn zur Halswirbelsäule liegt. Die maximale Herzfrequenz (HF max) ist altersabhängig und lässt sich grob mit der Formel 220 minus Lebensalter berechnen. Bei einem 60-Jährigen würde man also rechnen: 220 minus 60 = 160 bpm (beats per minute). Durch sportliches Training lässt sich die maximale Herzfrequenz nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht erhöhen. Sehr gut beeinflussen lässt sich jedoch, in welchem Maße man sich bei sportlicher Belastung an diese „magische Grenze“ annähert. So kann eine gut trainierte Sportlerin zwei Treppenaufgänge quasi hüpfend überwinden, ohne anschließend nennenswerte Zeichen einer erhöhten Herzfrequenz aufzuweisen (mit anderen Worten: ihr Puls ist nur schwach erhöht), während eine Nichtsportlerin gleichen Alters nach Überwindung derselben Distanz das Gefühl hat, das Herz „schlage ihr zum Halse“. Verantwortlich für diese Belastungstoleranz von Ausdauersportlern ist u.a. die Entwicklung eines sogenannten „Sportlerherzens“ durch Vergrößerung der Herzkammern und Herzvorhöfe. Das Herz kann somit während einer Auswurfphase mehr Blut in die Gefäße pumpen, wodurch sich die Versorgung der Muskulatur mit Sauerstoff und Nährstoffen sowie der Abtransport von Stoffwechselendprodukten deutlich verbessern. Da dies aber nur im Fall einer Belastung nötig ist, nicht aber in Ruhe, schlägt ein durch Ausdauertraining vergrößertes Sportlerherz im Zustand der Körperruhe deutlich seltener, um die gleiche Blutmenge in Umlauf zu bringen, für die das normalgroße Herz eines durchschnittlichen Nichtsportlers etwa 70mal pro Minute kontrahieren muss. Physiologen nennen das einen „erniedrigten Ruhepuls“. Dies kann durchaus die Dimension von deutlich unter 60 Schlägen pro Minute annehmen – Notfallmediziner würden bei „Normalbürgern“ jetzt schon „Bradykardie“ konstatieren, eine gesundheitlich bedrohliche Absenkung der Herzfrequenz.

Sportmediziner sehen in der reduzierten Ruheherzfrequenz eines trainierten Ausdauersportlers hingegen zumeist eine Anpassung des Herzens, die nicht nur generell „gesund“ ist, sondern auch lebensverlängernd. Das Herz spare sich sozusagen „Schläge für später“ auf, wenn es in Ruhe seltener schlägt. Gelegentlich hingegen müsse es durch schnelleres Schlagen an seine Belastungsgrenze herangeführt werden, um seine optimale Funktionsfähigkeit zu behalten. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Anzahl der Herzinfarktpatienten in den sogenannten Industriestaaten sprunghaft zunahm, erreichte die Popularität des Joggens als Gesundheitssport bislang ungeahnte Ausmaße. „Wer wenig läuft, tut wenig für die Gesundheit, wer viel läuft, tut viel für die Gesundheit, wer Marathon läuft, stirbt überhaupt nicht mehr“, spotteten Lästermäuler schon damals. Und gelästert wurde nicht wenig. Einschlägig befasste Sporthistoriker sehen bis zum heutigen Tag einen regelrechten Kampf verfeindeter Lager: Auf der einen Seite die „Ausdauer-Fraktion“, auf der anderen die der  „Muskelprotze“, die in den 1960er Jahren durch den weltweiten Popularitätszuwachs des Bodybuildings rasant an Zulauf gewann. Wer sich einmal etwas eingehender mit Aspekten der „menschlichen Natur“ beschäftigt, wird schnell verstehen können, dass es hier bald zu „Eifersüchteleien“ kam, die weit über das Bemühen hinausgingen, nur einfach aus marktwirtschaftlichem Interesse heraus „die Konkurrenz mies zu machen“ – denn natürlich sahen traditionelle Sportvereine in den plötzlich wie Pilze aus dem Boden schießenden Fitnessstudios eine unliebsame Konkurrenz. „Kraftsport – das ist doch aber nur Show!“, entgegnete mir mein an sich hoch geschätzter Sportlehrer Dr. Seiler, als ich sein Angebot ablehnte, Mittelstreckenlauf zu trainieren, weil ich schon durch mein Krafttraining sportlich voll ausgelastet war. Schelte gegen Bodybuilding gab es längst schon, bevor Dopingskandale für Schlagzeilen sorgten. Von „sinnfreien Muskeln“ und „hochgezüchteten Körpern“ war da die Rede, vom „Laufsteg zwischen den Geräten“, von „Karosseriewerkstätten des menschlichen Körpers“ usw.! Hatte sich vorher kein Mensch großartig Gedanken darüber gemacht, ob die überdurchschnittlich hypertrophierte Muskulatur eines Tarzan-Darstellers oder eines Schwergewichtsboxers auch „gesund“ sei, so stand die Frage angesichts des Bodybuilding-Booms plötzlich im Raum und versprach mediale Aufmerksamkeit.

Erst 1983 verkündete der deutsche Sportwissenschaftler Prof. Martin Bührle während einer sportwissenschaftlichen Konferenz an der Universität Freiburg, dass man die „Methoden des Bodybuildings“ in der Vergangenheit wohl zu Unrecht nicht gebührend beachtet und damit viel Potenzial für deren Nutzung im leistungssportlichen Training verschenkt habe. Nur zur Vollständigkeit: Das Muskelaufbautraining der Bodybuilder/innen ist eine Variante des Krafttrainings, weil mit dem Muskel auch die Kraft wächst! Voraussetzung für dieses Wachstum der Muskulatur ist allerdings, dass sie über einen bestimmten Mindestzeitraum gegen einen gewissen Mindestwiderstand arbeiten muss. Beim Ausdauersport kontrahiert die Muskulatur zwar über sehr lange Zeiträume, aber nicht mit der erforderlichen Mindestspannung, um in nennenswertem Umfang Muskelwachstum auszulösen. Deshalb haben Marathonläufer schlankere Beine als Gewichtheber oder Bodybuilder.

Und genau so verhält es sich auch bei der Anpassung der Herzmuskulatur an Belastung. Wie bereits erwähnt, „drückt“ das Herz während seiner Auswurfphase Blut in die Arterien. Sind die Arterien „weit offen“, dann braucht das Herz hierfür keinen großen Druck aufzubringen, d.h. die Herzmuskulatur spannt sich nicht so stark an, dass davon ein Wachstumsreiz ausgeht. Überschreitet die Kontraktionsstärke eines Skelettmuskels jedoch deutlich die 50-Prozent-Marke, dann werden auch die Arterien „zusammengedrückt“, welche diesen Skelettmuskel mit Blut und damit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen. Mit der verschlechterten Blutversorgung kommt es zu einem Sauerstoffmangel in der Arbeitsmuskulatur, folglich wird Muskelglykogen nur noch bis zu Laktat statt wie beim Ausdauerlauf zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut – und das brennt! „No pain – no gain!“, heißt es im Bodybuilding so schön.

Ist Bodybuilding also doch „schlecht fürs Herz“? Gäbe es Übungen, bei denen alle Skelettmuskeln gleichzeitig mit über 50 Prozent kontrahieren, dann könnte man diesen Gedanken ja einmal zu Ende spinnen. Da es gerade im Bodybuilding jedoch üblich ist, die Muskulatur möglichst isoliert zu trainieren, d.h. keine Ganzkörperübungen, sondern Teilkörperübungen auszuführen, stehen für das Blut faktisch immer genügend „Wege offen“ in den Muskeln, die gerade nicht trainiert werden. Eine „erhöhte Herzdruckarbeit“ beim Bodybuilding könnte allenfalls auftreten, wenn vorrangig Übungen aus dem Bereich des Powerliftings oder Gewichthebens zum Muskelaufbau eingesetzt werden – insbesondere Kreuzheben und Langhantel-Kniebeugen, wo oftmals ein großer Teil der Skelettmuskulatur zum Zwecke der Stabilisierung eingesetzt wird.

Dass es beim Muskelaufbautraining mitunter zu beträchtlichen Blutdruckanstiegen kommt, ist weniger die Folge einer bedrohlich hohen Herzdruckarbeit, sondern mehr das Ergebnis einer sogenannten Pressatmung (medizinisch „Valsalva-Manöver“ genannt). Hierbei kommt es durch Anhalten des Atems zu einem „Luftstau“ in den Lungenflügeln bei gleichzeitig komprimiertem Brustkorb, wodurch der Rückstrom des Blutes zum Herzen behindert wird, die Venen (besonders am Hals) anschwellen und folglich auch der arterielle Blutdruck massiv ansteigt – gemessen wurden schon Werte über 400 mmHg! Gefährdet sind hierdurch vor allem ältere Personen, deren Arterien gewöhnlich nicht mehr so elastisch sind wie in der Jugend und folglich eher zu reißen drohen – eine mögliche Folge wäre ein Schlaganfall (Apoplex). Dies lässt sich jedoch einfach vermeiden, indem man die Atmung während eines Satzes kontrolliert. Der Grundsatz, nie beim Krafttraining die Luft anzuhalten, gehört faktisch zur Basisausstattung des Trainings-Know-Hows.

Herzprobleme bei Bodybuildern – prominenten wie weniger prominenten – sind dennoch keine Seltenheit, wohl aber weniger wegen des Trainings, sondern wegen Medikamentenmissbrauchs.

Ein Beispiel soll hier genügen, um diese überaus komplexe Thematik zu veranschaulichen: Die bereits beschriebene Reizleitung durch das Herz ist nur möglich, wenn bestimmte sogenannte Elektrolyte in einem konkreten Mengenverhältnis zueinander zur Verfügung stehen – insbesondere Natrium und Kalium. Geregelt wird dieses Gleichgewicht über die Nierenfunktion. Wird dieses Gleichgewicht in den letzten Tagen vor einem Wettkampf kurzzeitig gestört, um aus dem Unterhautfettgewebe „Wasser zu verlieren“ und die Muskulatur „aufzuladen“, kann es u.a. zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen kommen.

Lässt man von solchem Wahnsinn die Finger, dann dürfte Bodybuilding der Herzgesundheit sogar förderlich sein, schon allein deshalb, weil eine große Muskelmasse Platz für die Einlagerung von Zucker bietet, der sich bei immer mehr Menschen anderenfalls irgendwann im Blut staut und in den Wänden der Blutgefäße einlagert. Betroffen sind davon auch die Herzkranzgefäße, die so heißen, weil sie das Herz umgeben wie ein Kranz. Diese Gefäße versorgen die Herzmuskulatur. Arteriosklerose vollzieht sich schleichend und schmerzlos oft schon jahrelang, bevor ein Teil des überschüssigen Zuckers mit dem Urin ausgeschwemmt wird. Dann spricht man von Diabetes mellitus Typ 2. Eine typische Spätfolge dieses Krankheitsbildes ist der Herzinfarkt. Kein Wunder also, dass in Herzsportgruppen inzwischen schon gezielt Muskelaufbautraining betrieben wird.

Aber man braucht es ja nicht so weit kommen zu lassen. Ab ans Eisen – no pain, no gain!