Warum sich der Erfolg manchmal durch weniger statt mehr einstellt
Dr. Sabine Nunius
„Sabine, ich weiß langsam nicht mehr weiter. Seit Wochen tue ich wirklich alles: Ich stretche, gehe spazieren, mache Faszientraining, praktiziere meine Atemübungen, visualisiere und meditiere. Inzwischen nehme ich auch noch ein Supplement, aber es stellt sich einfach keine dauerhafte Besserung ein!“
Dieses frustrierte Feedback kam kürzlich von einer meiner Klientinnen, die in regelmäßig wiederkehrenden Abständen mit Verspannungen und Schmerzen kämpft. Diese werden mitunter so stark, dass sie deutlich in ihrer Bewegung eingeschränkt ist und dass zusätzliche Phänomene wie Schwindel, Übelkeit und Ohrgeräusche auftreten. An lockere, unbeschwerte Sporteinheiten ist in solchen Phasen nicht zu denken. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein zentraler Baustein für den Stressabbau wegfällt, den meine Klientin in solchen Situationen sonst regelmäßig nutzt. Das verschärft die Lage zusätzlich. Denn auf diese Weise entsteht ein Teufelskreis: Das Stresslevel, das die Hauptursache der Verspannungen darstellt, erhöht sich. Dadurch nehmen die Schmerzen zu und die Perspektive, wieder mit Leichtigkeit Sport treiben zu können, rückt in noch weitere Ferne. Selbstverständlich hat dies erneute Auswirkungen auf das Stresslevel. Die Verspannungen nehmen einmal mehr zu, der Stress erhöht sich wieder und so weiter und so fort…. Was letztendlich bleibt, sind ein Gefühl der Frustration und der Eindruck, wirklich alles getan zu haben und dennoch den Umständen hilflos ausgeliefert zu sein.
Dieses Gefühl kann sich in unterschiedlichen Situationen einstellen. Eine andere Klientin litt etwa an einer ISG-Blockade, die mit erheblichen Schmerzen einherging. Hinzu kamen zahlreiche kleinere physische Beschwerden. Jeweils für sich genommen war jede dieser Beschwerden vergleichsweise harmlos, in Summe stellten sie allerdings eine erhebliche Belastung dar. Dies rief letztendlich folgenden Eindruck hervor: „Ich könnte mich nur noch um meinen Körper kümmern. Egal wo ich hinschaue, gibt es Baustellen. Wenn ich alle Übungen mache, die mir empfohlen wurden, dann habe ich ein Programm, das mehrere Stunden in Anspruch nimmt und noch nicht einmal Spaß macht. Verlässliche Hilfe bringt es ebenfalls nicht – kann das wirklich die Lösung sein?“
Diese beiden sinngemäß wiedergegebenen Zitate spiegeln ein Dilemma wider, das Sportler wie Nichtsportler kennen. In manchen Phasen läuft es entweder nicht oder vollkommen anders, als wir uns das selbst gerade wünschen oder vorstellen. Mitunter reicht es in solchen Momenten aus, den Trainingsplan umzustellen oder einige neue Gewohnheiten zu etablieren. In anderen Fällen ist es damit jedoch nicht getan. Selbst wenn wir alles unternehmen, was in unserer Macht steht und sämtliche Tipps und Empfehlungen befolgen: Die erhoffte Wirkung bleibt aus.
Der ein oder andere aktive Sportler kennt dieses Phänomen aus der Vorbereitung auf wichtige Wettkämpfe. Gerade dann, wenn es etwa um einen Aufstieg oder eine Titelverteidigung geht, also ein Ziel, das man unbedingt erreichen möchte, kann es geschehen, dass die Leichtigkeit komplett verloren geht. Zwei oder drei schlechte Trainingseinheiten lassen sich problemlos wegstecken, läuft es jedoch über mehrere Tage oder sogar Wochen nicht rund, steigt der Druck. Je verbissener man dann beginnt, auf das gesetzte Ziel hinzuarbeiten, desto schlechter funktionieren die Dinge im Training oder dem Wettkampf selbst. Diese Problematik betrifft Sportler auf allen Ebenen, angefangen vom Amateur- bis hinein in den Leistungssportbereich. Gerade die Welt des Spitzensports bietet zahlreiche Beispiele von Wettkämpfen, bei denen der Topfavorit plötzlich abstürzt oder deutlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Kommentiert werden solche Ereignisse gerne mit Worten wie „der hat zu viel gewollt“ oder „da hat einfach die Lockerheit gefehlt“.
Die geschilderten Szenarien erscheinen nur auf den ersten Blick vollkommen verschieden und somit nicht vergleichbar. Denn in jeder der genannten Situationen geht es letztlich um Fitness und körperliche Leistung bzw. Faktoren, die diese begrenzen oder behindern. Die Ausgangssituationen und Leistungslevels unterscheiden sich dabei in der Tat stark, das Ergebnis ist allerdings mehr oder weniger das selbe: Die Lage ist für die Betroffenen höchst belastend und verursacht (mentalen) Stress, der sich wiederum negativ auf die physische Symptomatik auswirkt. Den beiden Fallkonstellationen ist zudem gemein, dass die körperliche Problematik meist den Auslöser darstellt, die mentale Ebene jedoch rasch dazu kommt. Über längere Zeiträume vermischen sich beide Ebenen immer mehr, so dass irgendwann nicht mehr zu sagen ist, welcher Faktor letztendlich der primär verursachende oder zusätzlich verstärkende ist. Dementsprechend braucht es in solchen Fällen Ansätze, die beide Dimensionen in den Blick nehmen und Hilfestellungen geben, auf allen Ebenen wieder in die Spur zu kommen.
Die Frage, die sich hier für Betroffene wie Betreuende stellt, ist, wie solche Lösungsansätze aussehen können. Mit anderen Worten: Was lässt sich konkret tun, wenn man feststellt, dass die Lockerheit abhandengekommen ist, die Umstände gleichzeitig aber einfach so sind, dass der Druck „zu funktionieren“ besteht oder fortwährend steigt? Die eine Patentlösung oder den absoluten Königswert gibt es nicht. Zudem wird der Fortschritt bei den meisten Lösungsansätzen nicht linear verlaufen, sondern sich als Prozess mit diversen Höhen und Tiefen sowie dem ein oder anderen Rückschlag gestalten. Mitunter braucht es hier zusätzliche Unterstützung und Beratung von außen. Nichtsdestotrotz gibt es grundsätzliche Impulse und Gedanken, die hilfreich dabei sind, den eigenen Weg neu zu gestalten und zurück zu Leichtigkeit, Leistung und Freude an der Bewegung zu finden. Ein erster Schritt dabei sind häufig ein Perspektivwechsel und ein Umdenken bezüglich des Trainings- bzw. Rehabilitationsplans.
Reduktion und Konzentration statt Gießkannenprinzip und Maßnahmenmaximierung
Die eingangs zitierten Beispiele zeigen: ein reines „Mehrtun“ ist meist sinnlos. Der Versuch, bei der Suche nach Lösungen lediglich immer weitere Maßnahmen hinzuzufügen, ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie der Ansatz, die Anweisungen noch richtiger, besser oder gewissenhafter zu befolgen. Sicherlich ist es mitunter möglich, zusätzliche Übungen in die Trainingsroutine einzubauen, sich noch genauer an die Vorgaben zu halten oder eine weitere Methode hinzuzunehmen. Insbesondere dann, wenn bereits schon sehr viel getan und versucht wird, hat dieses Vorgehen jedoch meist einen eher geringen Nutzen oder erweist sich sogar als kontraproduktiv. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die beständige Ausweitung und Intensivierung automatisch damit einhergehen, dass das Problem immer stärker in den Fokus rückt. So werden auch die Symptome stärker wahrgenommen und im Alltag präsenter.
Besonders gut verdeutlichen lässt sich dieser Effekt am Thema Schmerzen. Ab einer gewissen Intensität stellen Schmerzen eine ernsthafte Belastung dar, die sich nicht ohne weiteres ausblenden lässt. Der Schmerz ist folglich ohnehin ständig in unserem Bewusstsein oder wir werden regelmäßig – etwa durch eine den Schmerz auslösende Bewegung – daran erinnert. Richten wir in solchen Momenten zusätzlich den Fokus nahezu ausschließlich auf die Behandlung dieses Problems, entwickeln sich die schmerzende Schulter oder das kaputte Knie schnell zum dominierenden, alles überlagernden Thema. Diese Tendenz setzt insbesondere dann ein, wenn ab einem bestimmten Punkt quasi sämtliche sportliche Betätigung oder Bewegung nur noch unter dem Zeichen der Rehabilitation steht. Training und Sport werden dann unbewusst immer stärker mit dem Thema Schmerz verbunden und sind zunehmend negativ konnotiert. Die logische Folge: Die Freude an der ohnehin eingeschränkten Bewegung geht verloren und es stellen sich Frust, Ärger und Unausgeglichenheit ein.
Gleiches lässt sich beobachten, wenn es beim Training oder der Wettkampfvorbereitung so gar nicht läuft. Wer nur noch alles daran setzt, seine Leistung auf ein bestimmtes Ziel hin zu verbessern oder seine Technik zu optimieren, wird irgendwann verkrampfen. Dass dies der Leistung abträglich ist, liegt auf der Hand. Hinzu kommt, dass die dauernde Auseinandersetzung mit den (vermeintlichen) Defiziten zu Stress führt. Ab einem gewissen Punkt wird der Körper auf diese Stressbelastung reagieren, etwa mit Verspannungen, Schmerzen, Schlafproblemen oder einem geschwächten Immunsystem. Sämtliche weiteren Stressfaktoren wirken sich daher notwendigerweise kontraproduktiv aus. Dieses Phänomen zeigt, aus welchem Grund mentalem Coaching nicht nur im Spitzensport mittlerweile eine zunehmende Bedeutung zukommt.
An dieser Stelle lässt sich ein klares Fazit ziehen: Wenn ein durchdachtes und strukturiertes Programm keine Wirkung zeigt, ist eine reine Ausweitung, Intensivierung oder Ergänzung um weitere Maßnahmen sinnlos. Weitaus zielführender ist es dagegen, die bestehenden Inhalte kritisch zu hinterfragen und ggf. neu zu strukturieren oder anders auszurichten.
Hilfreich bei der Analyse des Status Quo können folgende Punkte sein:
- Sind die aktuellen Umfänge gerechtfertigt oder ist das bestehende Programm bereits zu umfangreich? Resultiert der Misserfolg vielleicht daraus, dass schon zu viel versucht wird? Hier sollte dringend auf Reduktion statt Erweiterung gesetzt werden!
- Haben sich die Rahmenbedingungen geändert? Dabei müssen unbedingt die allgemeinen Lebensbedingungen einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob es einschneidende Veränderungen wie einen Jobwechsel oder eine Veränderung in der familiären Situation gab. Allein die zeitlichen Auswirkungen einer solchen Veränderung können einen erheblichen Einfluss haben.
- Zielen die aktuell durchgeführten Maßnahmen auf das ursächliche Problem? Resultieren die Schmerzen beispielsweise in erster Linie aus stressbedingten Folgeerscheinungen, ist eine Behandlung des betreffenden Körperteils allein sinnlos. Der Erfolg wird sich erst dann einstellen, wenn neben den rein körperlichen Beschwerden auch die mentalen Probleme angegangen werden. Gleiches gilt in der Wettkampfvorbereitung. Die wenigsten Athleten verlernen über Jahre eingeübte Bewegungsabläufe über Nacht. Stimmen plötzlich Timing und Umsetzung nicht mehr, spielen häufig mentale Aspekte eine große Rolle.
- Hat die aktuelle Problemlage multikausale Ursachen? Wenn ja, dann muss bei der Problembehandlung ebenso ein multimodaler Ansatz gewählt werden. Das bedeutet, es bedarf zwangsläufig eines Maßnahmenmixes, der die unterschiedlichen Dimensionen der Problemlage adressiert. Konkret bedeutet das beispielsweise, die körperliche und die mentale Dimension parallel anzugehen und die zugrundeliegenden Einzelursachen zu behandeln.
- Existiert ein übergeordneter Plan und wurden die jeweiligen Einzelmaßnahmen aufeinander abgestimmt? Dieser Punkt ist besonders dann wichtig, wenn es mehrere „Baustellen“ gibt, die an unterschiedlichen Stellen betreut bzw. behandelt werden. Ist dies der Fall und sind ggf. sogar mehrere Disziplinen vertreten, geschieht es leicht, dass beispielsweise der Orthopäde die erste Empfehlung ausspricht, der Hausarzt die zweite, der Physiotherapeut die dritte, der Osteopath die vierte und so weiter. Für sich genommen ist jeder Hinweis gerechtfertigt und sinnvoll. Versucht der Betroffene jedoch, alle Empfehlungen umzusetzen, stellen sich schnell Überforderung und Überlastung ein. Dann entsteht genau der eingangs beschriebene Effekt: Das letztendlich resultierende Programm würde Stunden in Anspruch nehmen und ist im Alltag schlichtweg nicht durchführbar.
- Hatten die Einzelmaßnahmen ausreichend Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten? Insbesondere dann, wenn es um mentale Strategien geht, bedarf es häufig einiger Zeit des Ausprobierens und Einübens, bis der Effekt spürbar wird. In der Literatur finden sich Werte zwischen 21 Tagen für die Etablierung neuer Gewohnheiten und 3 Monaten für neue Strategien. Eine Studie im European Journal of Social Psychology spricht bei der Automatisierung von neuen Gewohnheiten von Zeiträumen zwischen 18 und 254 Tagen mit einem Mittelwert von 66 Tagen.[1] Allein diese Zahlen zeigen, wie groß die Spannbreite sein kann! Bleibt der Erfolg einer Strategie aus, sollte deshalb überprüft werden, ob der Sportler bereits ausreichend Erfahrungen damit sammeln konnte oder ob zunächst noch an dem eingeschlagenen Weg festgehalten werden sollte, um seine Wirksamkeit beurteilen zu können.
Dieses analytische Vorgehen hat mehrere Vorteile. Einerseits wird verhindert, weitere Zeit mit einem Plan zu verlieren, der für die Situation nicht oder nicht mehr angemessen ist. Ein klarer Blick auf den Status Quo hilft andererseits den Betroffenen selbst. Wenn der Stresspegel bereits hoch ist, stellen sich leicht Hektik und ein Gefühl des Getrieben-Seins ein. Letzteres artetet mitunter in blinden Aktionismus aus. Doch derartige „Hauruck-Aktionen“ kosten vor allem eins: Energie und Nerven. Beide sind in Drucksituationen rar. Die Devise lautet daher, zunächst den Druck zu reduzieren. Ein durchdachtes und strukturiertes Vorgehen trägt dazu bei, den Sportler selbst ins Boot zu holen und einen gemeinsamen Plan zu erarbeiten, anstatt blindlings unterschiedliche Dinge auszuprobieren und dabei letztendlich nur nach „trial and error“ vorzugehen.
Struktur und Fokussierung: Wie es gelingt, die eigene Vorgehensweise zu finden
Wie kann es also weiter gehen, wenn sich nach der Analyse des Status Quo die Erkenntnis einstellt, dass grundsätzlich ein „Weniger“ angeraten ist? Geht es darum, das bestehende Pensum zu reduzieren, ist die Lösung nur scheinbar simpel. Denn eine reine Umkehr ins Gegenteil – also komplettes Nichtstun – ist genauso sinnlos wie ein permanentes Übermaß. Ganz ohne Training wird kein Sportler gute Leistungen erbringen. Ebenso verschwinden die wenigsten Schmerzen, die über längere Zeiträume bestehen, von selbst durch reines Ignorieren oder Nichtstun. Dies gilt insbesondere dann, wenn zusätzliche Faktoren wie Stress oder psychische Belastung eine Rolle spielen.
Unter solchen Umständen bedarf es somit einer Konzentration auf das Wesentliche. Dabei stellen sich die Fragen: Wie bei der Auswahl vorgehen? Und wie viel ist „zu wenig“, „zu viel“ oder „gerade richtig“? Die Antwort darauf muss stets individuell ausfallen. Dennoch gibt es einige allgemeine Orientierungspunkte, die dabei helfen, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und zu erkennen, was der eigenen Balance, Gesundheit und Leistungsfähigkeit aktuell am zuträglichsten ist. Die nachfolgenden Überlegungen können als Grundlage dafür dienen, eine persönliche Priorisierung zu erstellen.
- Rangfolge der dringlichsten Probleme. Welche Belastung ist gerade am größten und zeitkritischsten? Welche Themen müssen zwar mittelfristig ebenfalls angegangen werden, können für den Moment aber in den Hintergrund rücken? Herrscht hier Klarheit, kann sinnvoll entschieden werden, welche Maßnahmen im Plan bleiben und welche Punkte für den Moment zurückgestellt werden sollen. Das kann beispielsweise bedeuten, die Arbeit an einem sehr spezifischen technischen Aspekt zu verschieben und stattdessen dafür zu sorgen, dass der Sportler oder die Sportlerin überhaupt in den Bewegungsfluss zurückfindet. Bei der Wiederherstellung der generellen Fitness und der Bekämpfung von Schmerzen könnte man dagegen etwa darauf setzen, zunächst die Hüfte zu mobilisieren und muskuläre Dysbalancen auszugleichen, den Wiederaufbau des Fußgewölbes mit Hilfe der entsprechenden Übungen dagegen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
- Frage nach medizinischer Notwendigkeit. An dieser Stelle empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem Arzt oder Therapeuten. Bestehen Beschwerden, die einer schnellen Behandlung bedürfen? Diese sollten aus offensichtlichen Gründen in jedem Fall Vorrang haben. Liegen beispielsweise eine akute Verletzung oder Schädigung einer Struktur vor, müssen diese rasch angegangen werden. Die Behandlung anderer Problematiken ist unter Umständen weniger dringlich. So kann beispielsweise bestehendes Narbengewebe, etwa in Folge einer länger zurückliegenden Operation, durchaus einen Einfluss auf das Fasziengewebe haben, so dass eine Behandlung grundsätzlich sinnvoll ist. Der potenziell entstehende Schaden, der daraus resultiert, wenn diese verschoben wird, ist jedoch weitaus geringer als beispielsweise die zu späte Versorgung eines Bruchs, Bänderrisses oder Bandscheibenvorfalls. Hier helfen eine kompetente Einschätzung und anschließende Anpassung des Therapie- und Rehabilitationsplans.
- Klärung der eigenen Ziele und Bedürfnisse. Dieser Aspekt scheint selbstverständlich, ist aber insofern von Bedeutung, da an einem bestimmten Punkt überprüft werden muss, wie realistisch die eigenen Zielsetzungen in der gegebenen Situation sind. Die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt kann eine der größten Herausforderungen darstellen. Das gilt insbesondere dann, wenn dieser Schritt bedeutet, sich einzugestehen, dass das angestrebte Ziel nicht realisierbar ist. Im Hinblick auf die zitierten Beispiele könnte das etwa heißen, dass sich vollständige Schmerz- und Beschwerdefreiheit unter den gegebenen Umständen nicht erreichen lässt oder die sportlichen Ambitionen deutlich heruntergeschraubt werden müssen. Gegebenenfalls können hier sogar eine vorgezogene Saisonpause oder eine Neugestaltung des Wettkampfplans die sinnvollste Alternative darstellen.
Die Basis neu aufbauen – was grundsätzlich hilft
Die vorhergehenden Beispiele haben gezeigt: Die Ziele und Ausgangssituationen mögen ganz unterschiedlich sein, das Ergebnis bleibt jedoch stets das gleiche. Wenn es „nicht läuft“ und wir die Situation kurzfristig nicht zum Positiven wenden können, stellen sich Stress, Druck, Frust und Anspannung ein. Das ist bestens nachvollziehbar. Nehmen diese Gefühle jedoch überhand, tragen sie maßgeblich dazu bei, den bereits unschönen und lästigen Zustand weiter zu verschärfen sowie bestehende Problematiken zu verschlimmern. Was dann hilft, sind eine gewisse Distanz und die Konzentration darauf, eine möglichst stabile Basis zu erhalten oder neu aufzubauen. Dies ist leichter gesagt als getan. Insbesondere ambitionierten Menschen fällt das „Geschehenlassen“ oder „Weniger-Tun“ oft schwerer, als selbst in Aktion zu treten und die Dinge voranzutreiben. Abzuwarten, wie sich etwas entwickelt, ruft dagegen ein Gefühl der Ohnmacht oder des Kontrollverlusts hervor. Erschwerend kommt hinzu, dass quälende Gedanken und Sorgen die Tendenz haben, vor allem in ruhigeren Momenten besonders laut zu werden. Fehlt die Ablenkung durch (körperliche) Aktivität, geraten viele Betroffene in negative Gedankenspiralen oder beginnen zu grübeln. Bis zu einem gewissen Grad ist dies absolut normal und würde bei belastenden Situationen jedem so gehen. Ab einer bestimmten Intensität behindert das beständige Grübeln jedoch die Lösungsfindung und damit den Weg aus der Situation heraus. Zudem verursacht es permanenten mentalen Stress. Unabhängig von der individuellen Ausgangslage ist es daher so gut wie immer angeraten, Stress- bzw. Spannungsabbau als Punkt auf die eigene Handlungsagenda zu nehmen.
Die nachfolgenden Inspirationen möchten erste Impulse geben, was in dieser Hinsicht hilfreich sein kann und mit welchen Maßnahmen sich oft schon schnell eine erste Wirkung erzielen lässt. Kleine Teilerfolge steigern die Motivation, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und helfen so dabei, das größte Tief zu überwinden und die Negativspirale zu durchbrechen. Was genau das jeweils Passende ist, muss individuell entschieden werden, ausschlaggebend sind hier die Vorlieben der Betroffenen! Denn die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen einen Ausgleich bieten sowie die Gelegenheit, die mentalen Reserven wieder aufzufüllen. Werden sie von vornherein als weiterer lästiger Punkt auf einer bereits überlangen To Do Liste empfunden, wird sich dieser Effekt kaum einstellen. Hier gilt deshalb ganz klar: Möglich ist, was gefällt und hilft, egal wie kreativ, ungewöhnlich oder scheinbar auch banal die dabei entstehenden Lösungen sind!
- Alternative Formen der Bewegung finden – die Freude am Sport erhalten. In allen genannten Beispielen ist eine Situation eingetreten, in der die bisherige Art des Trainings oder der Bewegung nicht mehr in der gewohnten Weise möglich war. Der konkrete Grund ist dabei zunächst irrelevant. Das Ergebnis ist in jedem Fall, dass das Gewohnte und Gewünschte für den Moment nicht reibungslos funktioniert und es keine klare Perspektive gibt, wann bzw. ob das Angestrebte wieder möglich sein wird. Für die Betroffenen bedeutet das eine doppelte Belastung. Einerseits leiden sie unter Schmerzen oder stehen unter zunehmenden Druck, etwa dann, wenn beispielsweise eine Kadermitgliedschaft oder Sponsorengelder an einem Wettkampf hängen. Andererseits fehlt eine Aktivität, die sie grundsätzlich gerne ausüben und die ihnen Freude bereitet. In Hinblick auf letzteren Aspekt ist es wichtig, Alternativen zu suchen. Dabei kann es hilfreich sein, temporär auf eine komplett neue Aktivität auszuweichen. Dieses Vorgehen bietet den Vorteil, dass der permanente Vergleich mit dem früheren Leistungslevel wegfällt. Praktisch umgesetzt könnte das beispielsweise heißen, dass ein Sportler eine Zeit lang überhaupt nicht versucht, ob das Joggen mit dem Fuß/Knie/Gelenk vielleicht doch schon wieder funktioniert. Alternativen könnten in diesem Fall Schwimmen oder Aquajogging sein. Ein Athlet in der Wettkampfvorbereitung stellt unter Umständen kurzzeitig das Intervalltraining oder die Sprints zurück und setzt dafür auf ein Ebenso möglich ist es, punktuell auf andere Disziplinen auszuweichen und für das Körpergefühl beispielsweise eine lockere Runde Fußball oder Basketball, einen Ausflug in die Welt des Modern Dance, Koordinationsspiele, etc. einzubauen.
- Entspannung individuell definieren und umsetzen. Sport und Bewegung bedeuten für viele nicht nur körperliche Aktivität, sondern auch Entspannung und die Möglichkeit, loszulassen und den Kopf frei zu bekommen. Fällt die gewohnte Form der Bewegung weg, fehlen automatisch diese Gelegenheiten für Entspannung und Stressabbau. Wie oft kommt es vor, dass längerfristig Verletzte nach einer Zeit der „Lagerkoller“ einholt und sich eine gereizte Grundstimmung einstellt. Den Betroffenen in diesem Moment zu raten, sie sollten sich doch einfach entspannen, ist ein vergleichsweise sicherer Weg, direkt einen Streit vom Zaun zu brechen. Wenn das so einfach wäre, hätten diejenigen ja genau das schon lange getan! Ebenso ist „Ruhe“ meist etwas, das nun plötzlich im Übermaß vorhanden ist. Wer plötzlich notgedrungen die meiste Zeit des Tages inaktiv verbringt und gerade nichts lieber tun würde, als sich wieder normal zu bewegen, kann einem „entspannten Abend mit Netflix auf der Couch“ nur wenig abgewinnen. Ebenso geringen Anklang finden dann häufig vorgeschlagene Alternativen wie Sauna, Therme, Lesen, etc. Diese können zwar angenehm sein und eine gewisse Abwechslung bieten, was den Betroffenen jedoch meist wirklich fehlt, sind die Aktivität, die Dynamik und ein gewisser Adrenalinkick. Diese Situation kann eine erhebliche Herausforderung darstellen und sich maßgeblich auf die Stimmung auswirken! Wenn Bewegung grundsätzlich möglich ist – sprich keine schwerwiegende Verletzung oder andere erhebliche körperliche Beeinträchtigung vorliegt – kann ein physisches Ausagieren durchaus helfen. Für diejenigen, die gerade mit ihrer eigenen Sportart hadern, bieten sich als Alternativen intensive Formen der Bewegung wie HIIT, Sprintintervalle oder ein forderndes Krafttraining an. Je nach Ausgangssituation – etwa bei einer bestehenden Verletzung oder Erkrankung – ist dieses körperliche Ausagieren jedoch nur in geringem Umfang möglich. In solchen Fällen können Alternativen wie Musik mit lauten, treibenden Beats oder ein actiongeladenes Computerspiel eine Option darstellen. Grundsätzlich ist es wichtig, den Betroffenen auch Alternativen anzubieten, die sich deutlich von den klassischen Entspannungsformen unterscheiden und so ein Repertoire aufzubauen, das alle Varianten, von ruhig bis hin zu dynamisch, beinhaltet.
- Ruhe neu erfahren. Ein Punkt, der indirekt bereits angeklungen ist: der Umgang mit Ruhe. Ruhige Momente und Stille können extrem wohltuend sein. Leider sind sie das vor allem dann, wenn wir grundsätzlich in uns ruhen und diese Zeiten somit wirklich genießen können. Wer jedoch von Sorgen, Schmerzen, Nervosität oder Anspannung geplagt wird, kann sich zwar äußerlich in die Ruhe zwingen, wird diese im Inneren jedoch nicht empfinden – ganz im Gegenteil! Meist setzt in solchen Situationen das Kopfkino erst richtig ein, das Gedankenkarussell beginnt sich zu drehen und die innere Unruhe steigt immer mehr. Ist schon seit einiger Zeit eine gewisse Grundanspannung vorhanden, lässt sich dieser Zustand nicht von heute auf morgen verändern. Hier ist es notwendig, für sanfte Übergänge zu sorgen und das eigene System schrittweise herunterzubremsen. Dies kann über Aktivitäten erfolgen, die keine physische Belastung darstellen, die aber dennoch eine gewisse Beschäftigung und Ablenkung bieten. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Wanderungen, Gartenarbeit, handwerkliche Arbeiten, künstlerisches Gestalten, musizieren, kulturelle Aktivitäten oder Ausflüge ans Wasser mit Schwimmen, Angeln oder Rudern – mit etwas Kreativität finden sich oft Beschäftigungen, die in Vergessenheit geraten waren und die für eine echte Abwechslung sorgen und Spaß machen. So entstehen Momente der Entspannung, die in Belastungsphasen dringend notwendig sind.
- Balance herstellen. Ein weiterer Aspekt, der unmittelbar einleuchtet, in der Durchführung aber mit der ein oder anderen Hürde verbunden ist: die generelle Verringerung des Stresslevels. Wie an verschiedenen Stellen deutlich geworden ist, gehen die beschriebenen Problematiken alle mit einem erhöhten Maß an Stress einher, das sich nicht nur negativ auf die Situation selbst, sondern auch auf das Allgemeinbefinden auswirkt. Sind die Betroffenen in einer Negativspirale gefangen, ist der Weg hinaus zweifelsohne möglich. Allerdings braucht es dafür Zeit und die ein oder andere Anstrengung. Alles, was in diesen Phasen das eigene Energielevel aufrecht erhält oder neu auffüllt, ist somit mehr als förderlich! Zudem hilft ein verringertes Stresslevel, die Dinge objektiver und neutraler zu sehen – so kann eine Konzentration auf sinnvolle Lösungen und Strategien erfolgen und die Grundstimmung verändert sich wieder hin zum Positiven.
Was bringen diese ergänzenden Ansätze? Zweifellos werden die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht allein zur Lösung des Problems führen. Sie können jedoch einen wertvollen Beitrag dazu leisten, die Situation für die Betroffenen angenehmer zu machen und so den ein oder anderen Schritt zu beschleunigen oder zu erleichtern. Zudem unterstützen sie dabei, selbst längere Durststrecken zu überstehen und die eigene Motivation stärken, das Ziel trotz der widrigen Umstände weiter zu verfolgen. Und manchmal stellt sich dann der ein oder andere Erfolg schneller wieder ein als ursprünglich gedacht!
Weitere Fragen oder Interesse an einem Austausch? Die Autorin freut sich über Nachrichten an sabine.nunius@sanu-training.com!
[1] Lally, P., van Jaarsveld, C.H.M., Potts, H.W.W. and Wardle, J. (2010), How are habits formed: Modelling habit formation in the real world. Eur. J. Soc. Psychol., 40: 998-1009. https://doi.org/10.1002/ejsp.674