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Zyklusbasiertes Training im Kraft- und Ausdauersport

Was kann aus wissenschaftlicher Sicht empfohlen werden?

Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Der weibliche Zyklus basiert auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Hormone. Das Gleichgewicht dieses Zusammenspiels ist für die Gesunderhaltung und Leistungsfähigkeit der Frau besonders wichtig. Es wird angenommen, dass das weibliche Sexualhormon Östrogen eine anabole Wirkung auf die Muskulatur, während Progesteron eher eine katabole Wirkung hat. Da diese beiden Hormone in den Phasen des Menstruationszyklus starken Schwankungen unterliegen, könnte dies eine Relevanz für die Trainings- und Ernährungsperiodisierung für Sportlerinnen haben. Der Einfluss der weiblichen Sexualhormone auf sportliche Leistung, Training und Ernährung ist Thema vieler aktueller Forschungsarbeiten. Viele Aspekte sind noch nicht hinreichend wissenschaftlich nachgewiesen oder werden kontrovers diskutiert. Ich möchte mit diesem Beitrag den aktuellen Forschungsstand darlegen und darauf aufbauend fundierte Empfehlungen geben.

Der weibliche Zyklus

Der Menstruationszyklus wird aus hormoneller Sicht in sechs Phasen eingeteilt (Grafik 1). Unterschieden werden die frühe und späte Follikelphase, die Ovulationsphase sowie die frühe, mittlere und späte Lutealphase. Die frühe Follikelphase beginnt mit der einsetzenden Menstruation. Währenddessen ist die Konzentration der weiblichen Sexualhormone insgesamt niedrig. In der darauffolgenden späten Follikelphase dominiert das Östrogen. Nachdem die Östrogenkonzentration ihren Peak erreicht, wird aus dem Hypophysenvorderlappen das luteinisierende Hormon (LH) freigesetzt. Der entstehende LH-Peak löst die Ovulation aus, die etwa 24-36 Stunden später stattfindet. Nach der Ovulation schließt die frühe Lutealphase an mit einem Anstieg des Progesterons. In der mittleren Lutealphase kommt es zur höchsten Konzentration von Progesteron und einem zweiten, niedrigeren Peak von Östrogen, welche das Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) für eine mögliche Einnistung eines befruchteten Follikels vorbereiten. Bei einer ausbleibenden Befruchtung des Follikels degeneriert das Corpus luteum (Gelbkörper), die Konzentration von Progesteron und Östrogen fällt in der späten Lutealphase wieder ab und das Endometrium wird abgestoßen. Die erneute Menstruation setzt ein.

Grafik 1: 28-tägiger Menstruationszyklus in sechs Phasen mit typischem Verlauf der Sexualhormone (aus Feichtinger, 2024)

Einflüsse der Sexualhormone auf Grundumsatz, Flüssigkeit, Durst und Körpertemperatur

Heißhungerattacken oder im englischen „Cravings“, die besonders kurz vor oder während der Menstruation auftreten, sind eine häufige weitverbreitete Beobachtung unter Athletinnen. Als Ursache wird ein gesteigerter Grundumsatz in der Lutealphase diskutiert. Progesteron scheint im Zusammenhang mit einer Erhöhung des Grundumsatzes zu stehen. Des weiteren scheinen die Hormone Östrogen und Progesteron in die Regulation des Flüssigkeitshaushalts einzugreifen. Besonders das antidiuretische Hormon scheint durch die Sexualhormone beeinflusst zu werden. Hohe Östrogenkonzentrationen wie beispielsweise in der späten Follikelphase können den osmotischen Schwellenwert für die Ausschüttung vom antidiuretischen Hormon und die Durstregulation senken. Eine deutliche Veränderung des Gesamtkörperwassers scheint dies allerdings nicht mit sich zu ziehen. Progesteron steigert zudem die Thermogenese und erhöht somit die Basaltemperatur im Organismus. Dies wirkt sich bei Frauen mit einem normalen Menstruationszyklus in einem Anstieg der Körperkerntemperatur um etwa 0,3-0,6°C in der zweiten Zyklushälfte aus.

Einfluss der Sexualhormone auf den Kohlenhydrat – und Fettstoffwechsel

Die verstärkte Einlagerung von Fett im Unterhautgewebe wird dem Östrogen zugeschrieben, was auch den generell höheren Körperfettanteil von Frauen im Vergleich zu Männern mitbegründet. Darüber hinaus scheinen die weiblichen Sexualhormonen eine Senkung des Kohlenhydrat- und eine Steigerung des Fettstoffwechsels zu bewirken, was dazu führt, dass bei gleicher relativer Belastungsintensität Frauen gegenüber Männern zu einem geringeren Teil Kohlenhydrate und zu einem größeren Teil Fettsäuren zur Energieproduktion nutzen (Tarnopolsky, 2008).

Einfluss der Sexualhormone auf Ausdauer und Kraft

Betrachtet man die Entwicklung der Ausdauer im Zyklus, so sollte die Grundlagenausdauer verstärkt in der Lutealphase trainiert werden. In dieser Phase scheint auch die Ausdauerleistung höher zu sein, was das Ergebnis einer Befragung von Marathonläuferinnen ergeben hat (Greenhall et al., 2021). In einem systematischen Review und einer Meta-Analyse von McNulty et al. (2020) konnte herausgestellt werden, dass aufgrund der bis dato vorliegenden Studienlage höchstens auf einen trivialen bis kleinen Effekt des Zyklus auf die Ausdauerleistungsfähigkeit geschlossen werden kann. Auch in unserer aktuellen Studie konnten wir keine Leistungsunterschiede in der Ausdauer zwischen der frühen Follikelphase und späten Lutealphase nachweisen, allerdings einen tendenziell niedrigeren Blutglukosespiegel und eine instabilere Glukoseregulation während der Belastung in der Follikelphase im Vergleich zur Lutealphase (Feichtinger, 2024). Tendenziell ist die aerobe Leistungsfähigkeit in der frühen Follikelphase etwas geringer als in den anderen Phasen des Zyklus (Hicks et al., 2023). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bei aeroben Ausdauerbelastungen sich bei der Mehrheit der vorhandenen Studien kein signifikanter Effekt der Zyklusphasen auf die Leistungsfähigkeit nachweisen lassen konnte.

Betrachtet man die Entwicklung der Kraft im Zyklus, so zeigt sich eine steigende Maximalkraftentwicklung in der Follikelphase bis hin zur Ovulation. Hiernach sinkt diese und kehrt erst kurz vor Einsetzen der Menstruation wieder auf das Niveau der frühen Follikelphase zurück. Ein verstärktes Krafttraining sollte folglich in der Follikelphase durchgeführt werden.

Menstruationsdysfunktionen

Extremes Ausdauertraining kann das hormonelle System der Frau stark beeinflussen. Hoher trainingsinduzierter physiologischer Stress kann Menstruationsdysfunktionen zur Folge haben. Dazu zählen Menstruationsunregelmäßigkeiten, eine Unterbrechung des Menstruationszyklus (Amenorrhoe), eine Verlängerung des Zyklus (Oligomenorrhoe) oder eine Anovulation (fehlender Eisprung). Neben den hohen Trainingsbelastungen kann ein relatives Energiedefizit (RED-S) über mehrere Wochen die Dysfunktionen im Zyklus der Frau verstärken. Eine zyklusbasierte Trainings- und Ernährungsperiodisierung mit gut getimten Belastungs- und Entlastungsphasen kann Ausdauersportlerinnen vor Menstruationsdysfunktionen schützen (Hottenrott & Hottenrott, 2025).

Empfehlungen für ein zyklusbasiertes Training

Frauen mit einem normalen physiologischen Zyklus zeigen in der Follikelphase, die durch einen hohen Anstieg des Östrogens im Verhältnis zum Progesteron gekennzeichnet ist, eine bessere Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit als in der Lutealphase. In der Follikelphase sind intensive Ausdauereinheiten sowie ein Krafttraining zum Muskelaufbau zu empfehlen. In der Lutealphase hingegen liegt der Schwerpunkt eher auf dem Grundlagenausdauer- bzw. Fettstoffwechseltraining. Während der Menstruation sollte der Fokus auf einem Koordinations- und Techniktraining sowie einem moderaten Ausdauertraining liegen. Im Buch „Marathontraining für Frauen“ von Hottenrott und Hottenrott wurden diese Besonderheiten bei der Entwicklung von Trainingsplänen und der individuellen Belastungssteuerung berücksichtigt.

Empfehlungen für eine zyklusbasierte Ernährung

Neben einer generell ausgewogenen basischen Ernährung in allen Phasen des Menstruationszyklus empfehlen wir eine proteinreichere Kost in der Folikelphase. Aufgrund einer tendenziellen Glukoseinstabilität in der Lutealphase, wie wir es unseren Untersuchungen zeigen konnten, sind komplexere Kohlenhydrate mit niedrigen glykämischen Index in dieser Phase zu bevorzugen. Während der Menstruation ist auf eine vermehrte Flüssigkeitszufuhr sowie leichtverdauliche, vitaminreiche und mineralstoffreiche Kost zu achten. Der Verzehr von Nahrungsmittel mit einem erhöhten Eisenanteil kann der Frau vor einem Eisenmangel schützen.

Empfehlungen für die praktische Umsetzung

Ein regelmäßiges Monitoring über die aktuelle Befindlichkeit und den Beanspruchungsgrad des Trainings könnte hierbei eine zyklusbasierte Belastungssteuerung unterstützen. Neben der Kontrolle von physiologischen Messgrößen wie der Herzfrequenz hinsichtlich der Höhe der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, des eigenen Aktivitätslevels sowie einer zuverlässigen Analyse des Schlafs und Körperkerntemperatur sollten die Bedürfnisse des weiblichen Körpers nicht vernachlässigt werden. Beispielsweise bieten Sportuhrenhersteller wie Polar umfassende Plattformen (Polar Flow) an, auf denen Athletinnen ihre Monitoring-Daten, Aktivitätslevel und Trainingsaufzeichnungen mit ihren Zyklusphasen in Verbindung bringen können. Durch zusätzliche Smartphone-Applikationen und Wearables können Zyklusphasen festgehalten und mit der individuellen Trainingssteuerung verknüpft werden. Die Gesamtbelastung, die auf den Organismus der Frau wirkt, lässt sich am besten über eine Analyse der Herzfrequenzvariabilität erfassen. In unserem HRV-Coach Workshop gehen wir hierauf intensiv ein (s. www.hrv-sport.de).

Cycle-Tracking des Menstruationszyklus

Die Dokumentation des Menstruationszyklus beispielsweise mit einem Menstruationszyklus-Tracker wie er in einigen Sportuhren und Apps enthalten ist, hilft Frauen dabei, ihren Menstruationszyklus problemlos zu verfolgen, ihr tägliches Befinden zu kontrollieren sowie die Zusammenhänge zwischen ihren Bedürfnissen und ihrem Zyklus zu verstehen. Hierfür geben die Athletinnen in einer App sowohl ihren Zyklustyp, ihre Zykluslänge sowie die Dauer der Ovulationsphase an. In den Plattformen können die Nutzerinnen täglich ihr körperliches Befinden, mögliche Symptome sowie persönliche Notizen dokumentieren. Neben dem Beginn und der Dauer der Menstruation werden auch der Blutverlust (z. B. leichte oder starke Blutung) sowie die auftretenden Symptome (einschließlich Art, Zeitpunkt und Schweregrad) erfasst. Das Tracking dient der Verbesserung der Selbstwahrnehmung hinsichtlich körperlicher, geistiger oder emotionaler Veränderungen während des Menstruationszyklus. Im sportlichen Kontext kann das Tracking des Menstruationszyklus zum Monitoring der Gesundheit genutzt werden und insbesondere auch zur Diagnose eines relativen Energiemangel im Sport. Kommt es bei männlichen oder weiblichen Athleten zu einer dauerhaft niedrigen Energieverfügbarkeit, steigt das Risiko eines „Relative Energy Deficiency in Sports“ (RED-S), welches zu metabolischen und hormonellen Störungen führen und sich bei Frauen durch Zyklusveränderungen zeigen kann.

Grafik 2: Evidenzbasierte Trainings- und Ernährungsempfehlungen für Frauen im Ausdauersport (nach Hottenrott & Hottenrott, 2025)

Das Cycle-Tracking des Menstruationszyklus hat zudem als mögliche Methode zur Steuerung von Trainingsvorgaben und Erholungsstrategien Aufmerksamkeit erregt. Hinweise deuten darauf hin, dass das Training und die Ernährung – wie in in der Grafik 2 dargestellt – basierend auf der Phase des Menstruationszyklus angepasst werden könnte, um die Trainingseffekte zu optimieren. Allerdings gibt es bislang keine konsistenten Belege dafür, dass die Berücksichtigung der Phase des Menstruationszyklus eine verlässliche Grundlage für Trainingsvorgaben oder Erholungsstrategien darstellen kann. Trotz der begrenzten wissenschaftlichen Evidenz, die ein zyklusbasiertes Training des Menstruationszyklus unterstützt, wird das Tracking des Menstruationszyklus von Sport- und Fitnesstechnologieunternehmen aktiv gefördert und von Sportlerinnen sowie Trainern genutzt. Es gibt zunehmend Apps und Geräte, die in diesem Kontext verwendet werden. Unsere Empfehlung für einen sinnvollen Einsatz ist die Dokumentation der Blutung sowie des subjektiven Wohlbefindens, ergänzt durch die Messung der nächtlichen Hauttemperatur (z. B. mittels Smartwatch oder Fitness-Tracker) und der Herzfrequenzvariabilität, idealerweise mit dem Orthostatic-Test (Lagewechseltest). Die teils kontroverse Forschungslage zum zyklusgesteuerten Training erklärt sich auch durch die individuelle Natur des weiblichen Körpers, sodass nicht allgemeingültige Trainings- und Ernährungsvorgaben existieren. Der individuell beste Ansatz lässt sich daher durch das Zusammenspiel von allgemeinen Empfehlungen und eigenem Tracking finden.

 

Verwendete Literatur im Buch:

 

Hottenrott, K. und Hottenrott, L. (2025): Marathontraining für Frauen. Wissenschaftlich fundierte Trainings- und Ernährungsempfehlungen. ISBN 978-3-9819882-1-5.