Regeneration im Sport
Welche Maßnahmen sind sinnvoll und auf was kann eher verzichtet werden?
Prof. Dr. Kuno Hottenrott
In dieser Ausgabe der Athletik wird ein Überblick zu den vielen unterschiedlichen Regenerationsmaßnahmen im Sport gegeben und welche Erwartungen und Wirkungen damit verbunden sind. Anschließend werden konkrete Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit entsprechend der Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien bewertet. Im zweiten Teil, also in der folgenden Ausgabe der Athletik, werden weitere Regenerationsmaßnahmen unter die Lupe genommen. Zum Abschluß erfolgen eine Gesamtbewertung unter Berücksichtigung von Kosten, Nutzen und Wirksamkeit sowie daraus abgeleitete Empfehlungen für Sportlerinnen und Sportler.
Ein Überblick
In Abbildung 1 wird ein Überblick zu der Vielzahl an Regenerationsmaßnahmen im Sport gegeben. Die Anordnung ist beliebig, nicht strukturiert nach Wertigkeit oder Bedeutsamkeit. Dieses Bild präsentiert sich vielen Sportlerinnen und Sportlerns, wenn sie sich mit Regenerationstools beschäftigen. Auch ist der Anwender damit allein gelassen, wann eine Maßnahme (vor oder nach dem Training) wie oft angewendet werden soll und ob möglicherweise auf einige Maßnahmen aufgrund fehlender Wirksamkeit ganz zu verzichten wäre. Auch stellt sich die Frage, ob eine klare Reihenfolge bei der Anwendung verschiedener Maßnahme zu beachten ist und inwieweit gewisse zeitliche Abstände zur vorangegangenen Trainingseinheit einzuhalten sind. Um zu all diesen Fragen klare Aussagen treffen zu können, wäre die Evidenz jeder Maßnahme zu prüfen. Unter Evidenz verstehen wir den empirisch erbrachten Nachweis mittels wissenschaftlicher Studien. Was die Studien dazu an Erkenntnisse hervorgebracht haben, wird an ausgewählten Regenerationsmaßnahmen im folgenden herausgearbeitet.
Abbildung 1: Überblick zu den verschiedenen Regenerationsmaßnahmen.
Aktive/passive Pausen und Cool-down
Viele Sportlerinnen und Sportler stellen sich die Frage, ob aktive oder passive Pausen zwischen intensiven Intervallen von Vorteil sind. Welche physiologischen Wirkungen ergeben sich bei einer aktiven oder passiven Erholungspause oder durch ein Auslaufen oder Ausradeln nach einer intensiven Trainingseinheit? Tragen diese Maßnahmen auch zur schnelleren Regeneration und damit zur Steigerung der Leistungsfähigkeit bei? Diesen Fragen soll im folgenden näher nachgegangen werden.
Die Mehrzahl an Studien haben gezeigt, dass aktive Erholungspausen positive physiologische Wirkungen nach sich ziehen. So wird das in der Muskulatur angereicherte Laktat bei intensiven Intervallprogrammen durch eine aktive Erholungspause zwischen den Intervallen deutlich schneller abgebaut, d.h. einer übersäuerten Muskulatur wird schneller entgegengewirkt. Der Laktatabbau erfolgt bei einer aktiven Pause etwa dreimal so schnell im Vergleich zu einer passiven Pause (s. Abb. 1). Des weiteren zeigen sich positive Wirkungen einer aktiven Pause oder eines Cool-down auf das Herz-Kreislauf-System und das vegetative Nervensystem. Nach einer anstrengenden Trainingseinheit langsam herunterfahren, das Training harmonisch ausklingen lassen wirkt entspannend und fördert den körperlichen Stress abzubauen.
Abbildung: Laktatabbau bei passiver und aktiver Erholung nach einer maximalen vierminütigen Radbelastung auf dem Ergometer (mod. aus Heck et al, 2022.
Der Mehrzahl der Studien zeigen allerdings, dass aktive Pausen oder das Auslaufen keine Wirkung auf einen eintretenden Muskelkater haben. Mikroverletzungen in der Muskulatur werden durch Laufen nach intensiven Einheiten sogar verstärkt. Danach wären Rad fahren, Aqua-Jogging oder Schwimmen besser geeignet, da diese Maßnahmen auch die aktive Erholung fördern. Nach einem Laufwettkampf hat das Auslaufen sogar negative Wirkungen auf die Resynthese der Glykogenspeicher, also auf die Wiederauffüllung der teilentleerten Energiespeicher in der Muskulatur. Durch das längere Auslaufen wird das Muskelglykogen weiter abgebaut und die Energieaufnahme zum Auffüllen der Speicher erfolgt dadurch verzögert. Auch nach dem intensive Krafttraining mit hoher exzentrischer Muskelarbeit sollte auf ein Cool-down auf dem Laufband verzichtet werden, der Stepper oder das Radergometer sind hier besser geeignet.
Interessant ist, dass in wissenschaftlichen Studien bisher nicht nachgewiesen werden konnte, dass ein Cool-down zur unmittelbaren und langfristigen Steigerung der Leistung beiträgt. Da aber auch keine negativen Wirkungen zu erwarten sind und viele positive physiologische Effekte nachweisbar sind, sollte das Cool-down nach intensiven Einheiten oder Wettkämpfen weiterhin durchgeführt werden, die Dauer des Cool-down wäre jedoch auf ein Minimum zu reduzieren oder nach langen Laufwettkämpfen sollte darauf ganz verzichtet werden.
Kosten-Nutzen-Relation: Die Regenerationsmaßnahmen „Aktive/passive Pause und Cool-down“ – bringen keine Kosten mit sich und bei richtiger Anwendung überwiegen eindeutig die Vorteile!
Kaltwasseranwendungen (Eistonne)
Spätestens seit dem legendären Interview von Peer Mertesacker bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zählt die „Eistonne“ zu einer der populärsten Regenerationsmaßnahmen im Sport. Ungeachtet dieser Renaissance ist der Einsatz von Kälte jedoch keine Erfindung der Neuzeit. Kälteanwendungen finden ihren Ursprung im Bereich der Schmerztherapie (Kühlpacks, Eissprays) und werden seit längerem als Aktivierungs- und Regenerationsmaßnahme vor und nach dem Training oder Wettkampf eingesetzt.
Die Kaltwasseranwendung hat nicht nur positive Wirkungen auf den Muskelstoffwechsel, sondern je nach Häufigkeit der Anwendung auch auf das vegetative und zentrale Nervensystems sowie das Herz-Kreislauf-System. Insbesondere im Sommer bei heißen Temperaturen spürt jeder die positiven Wirkungen nach dem Sprung ins kalte Wasser. Die temperaturbedingt erhöhte Herzfrequenz ist nach dem Kaltwasserbaden deutlich herabgesetzt und die Herzfrequenzvariabilität steigt an. Das Absenken der Körpertemperatur erhöht die Hitzetoleranz, was sich positiv auf die Leistungsfähigkeit bei Training und Wettkampf auswirken kann.
Die verbesserte Regeneration im muskulären Bereich liegt in der schnelleren Entsorgung von Stoffwechselprodukten begründet. Dabei helfen neben der Kälte der hydrostatische Druck des Wasser und die induzierte Vasokonstriktion (Gefäßverengung). Eine reduzierte Temperatur der Muskulatur verlangsamt Stoffwechsel und hemmt aufkommende Entzündungen. Somit kann durch eine Kaltwasseranwendung der Muskelkater reduziert werden.
Optimal: 10-15 min bei 10-15°C
Wie lange und bei welcher Temperatur sollte man in die „Eistonne“ steigen. Nach aktueller Studienlage zeigt sich bei 10 bis 15 °C kalten Wasser und einer Dauer von 10 bis 15 Minuten die beste Dosis-Wirkungs-Beziehung. Der Körper muss dabei mindestens bis zu den Schultern unter Wasser sein, um positive Effekte auf den gesamten Organismus zu erzielen. Sollen hingegen nur die stark strapazierten Füße oder die hoch beanspruchte Waden- und Oberschenkelmuskulatur heruntergekühlt werden, kann die Temperatur auch deutlich niedriger gewählt werden. Dies bietet sich insbesondere nach einem hochintensiven Intervalltraining (HIIT) oder nach einem langen Traillauf mit vielen Bergabpassagen an. Hier ist es wichtig, sofort nach der Belastung mit der Kühlung zu beginnen, um Entzündungsreaktionen und der stark übersäuerten Muskulatur entgegenzuwirken und damit die Regeneration zu beschleunigen (s. Foto). In Studien konnte gezeigt werden, dass durch die Kaltwasseranwendung die Creatinkinase und der Muskelkater signifikant reduziert werden können. Gibt es Nachteile einer Kaltwasseranwendung? Bei routinemäßiger Anwendung nach jeder Trainingseinheit zeigen erste Studien negative Wirkungen auf die Trainingsadaptation. Nach Trainingseinheiten bei hohen sommerlichen Temperaturen trägt das Abkühlen durch Kaltduschen, Wassertonne oder Baden im See zur schnellen Senkung der erhöhten Körperkerntemperatur, zum Wohlbefinden und zur schnelleren Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit bei.
Kosten-Nutzen-Relation: Für die Kaltwasseranwendung entstehen im Prinzip keine Kosten und der Benefit ist nach einer intensiven oder sehr umfangreichen Trainingseinheit enorm.
Foto: Kaltwasseranwendung zur Senkung der Körperkerntemperatur im Sommer
Schlaf / Powernapping
Für die Regeneration nach sportlichen Belastungen und der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sind ausreichender und ungestörter Schlaf eine Grundvoraussetzung. Andere Regenerationsmaßnahmen können den Schlaf nicht kompensieren. Belastung und Erholung sind für die Leistungsentwicklung im langfristigen Trainingsprozess von entscheidender Bedeutung. Ein Schlafmangel wirkt sich negativ auf die physiologischen Anpassungsvorgänge aus, die sich vor allem in der Erholungsphase vollziehen Infolgedessen wird der Schlaf als eine der wichtigsten und besten Erholungsstrategien und als zentraler Faktor bei der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit angesehen. Die enorme Bedeutung des Schlafes für die Erholung und das Wohlbefinden wurden in mehreren Studien belegt. Im Schlaf vollziehen sich eine Reihe wichtiger psychologischer und physiologischer Funktionen wie beispielsweise die Wiederauffüllung der entleerten Muskelglykogenspeicher, die Reparatur von Muskelschäden, die Aufrechterhaltung von kognitiven Funktionen und die Verringerung mentaler Ermüdung. Ein Schlafentzug kann katabole Prozesse nach sich ziehen bzw. anabole Prozesse verzögern, was zu einer Beeinträchtigung der Muskelproteinsynthese, einer schlechteren Trainingsanpassung und Erholung führt. Eine unzureichende Erholung kann sich auch auf das autonomen/vegetative Nervensystem auswirken, was mit einer Verringerung der Herzfrequenzvariabilität und einer erhöhten Ruheherzfrequenz einhergehen kann. Umso umfangreicher und intensiver die sportliche Belastung, desto größer ist die Ermü-dung und desto wichtiger ist auch eine intensive Regenerationsphase durch Schlaf. Unter Schlafmangel kann es zu einer Zunahme der wahrgenommenen Anstrengung kommen, um gleiche Leistungen erzielen zu können. Besonders wenn der Nachtschlaf unter sechs Stunden sinkt, kann die körperliche Erschöpfung um zehn bis 30 Prozent früher einsetzten und es kann zu einer Reduktion der Ausdauerleistungsfähigkeit kommen.
Minimum acht Stunden Schlaf
Wieviel Stunden Schlaf sollten Sportlerinnen und Sportler haben? Mit dieser Frage haben sich mehrere Studien beschäftigt. Es konnte gezeigt werden, dass bei weniger als sechs Stunden Schlaf über mehrere Tage die Leistungsfähigkeit signifikant abnimmt. Wurde der fehlende Nachtschlaf durch Mittagsschlaf oder Powernapping ausgeglichen nahm die Leistungsfähigkeit nicht ab. Unter Powernapping versteht man einen kurzen energiereichen Schlaf (Nickerchen) über 10 bis 20 min und kein tiefes Einschlafen. Der kurze Schlaf am Mittag ist vor allem dann leistungs- und regenerationsfördernd, wenn der Nachtschlaf unter acht Stunden Schlaf war oder keine gute Qualität hatte. Negativ auf die unmittelbare Leistungsfähigkeit wirkte sich ein Schlaf am Mittag, der 30 – 90 min dauerte. Schläfrigkeit und Benommenheit direkt nach dem Aufwachen müssen in diesem Fall erst überwunden werden. Bei einem Mittagsschlag länger als 90 min ist dies nicht der Fall, da dann ein vollständiger Schlafzyklus abgeschlossen ist. Ein länger Mittagsschlaf trägt dazu bei, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit erhöht. Des weiteren konnte in einer Studie mit 300 Nachwuchsathleten festgestellt werden, dass sich das Verletzungsrisiko um 61 % verringerte, wenn diese mindesten acht Stunden pro Nacht schliefen.
Kosten-Nutzen-Relation: Ausreichender Schlaf fördert nachweislich die Regeneration, verringert das Verletzungsrisiko und erweist sich als die wirksamste Regenerationsmaßnahme. Kosten entstehen keine, so dass die Kosten-Nutzen-Relation maximal ist.