05601 58091 30
Mo. - Fr. 8.00 - 16.00 Uhr
Onlineberatung
Termin vereinbaren

„Race Nerves“ oder der Kampf mit den eigenen Nerven

Tabuthema Wettkampfangst: Wie sie entsteht und wie sich damit umgehen lässt von Dr. Sabine Nunius.

Der Tag – oder sogar die Woche – vor einem wichtigen Wettkampf ist für fast alle Athleten mit Aufregung und starken Emotionen verbunden. Diese können allerdings ganz unterschiedlich ausfallen. So dominiert bei den einen die Vorfreude, sie sind heiß darauf, endlich loslegen zu dürfen und für sie ist ein gewisser Adrenalinspiegel sogar willkommen, um am Wettkampftag hellwach und konzentriert zu sein. Bei den anderen ist das Adrenalin ebenfalls vorhanden, allerdings keineswegs so willkommen. Denn sie kämpfen manchmal schon weit im Vorfeld mit ihren Nerven und leiden teilweise so stark unter Schlafstörungen, Magenproblemen und kreisenden Gedanken, dass sie im Wettkampf regelmäßig hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Spätestens wenn das der Fall ist und Sportler zu wahren Trainingsweltmeistern werden, ist der Zeitpunkt gekommen, sich mit dem Thema „competitive anxiety“, also der Angst vor dem Wettkampf, auseinanderzusetzen. Leider handelt es sich für viele dabei noch immer um ein Tabuthema, das versteckt anstatt offen thematisiert wird. Kennt man einzelne Sportler besser und spricht im Vertrauen mit ihnen, zeigt sich, dass Wettkampfangst oder zumindest eine sehr starke Anspannung deutlich weiter verbreitet sind, als man zunächst glauben könnte. Für viele noch überraschender: Selbst die „Coolen“ sind häufig von ihr betroffen, also diejenigen Sportler, die nach außen hin absolut souverän und abgeklärt wirken. Grund genug, das Phänomen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Wettkampfangst: Wie äußert sie sich und welche Auswirkungen hat sie?

Wie gesagt: Wettkampfangst ist ein sehr verbreitetes Phänomen. Zumindest in Ansätzen dürfte es jeder Sportler in seiner Karriere schon einmal erlebt haben. Egal ob Hobby- oder Leistungssportler, Sportneueinsteiger oder Athlet mit langjähriger Erfahrung, jeder kennt das Kribbeln und die innere Anspannung vor einer wichtigen Veranstaltung. Doch obwohl der Kampf mit den eigenen Nerven so verbreitet ist, wird er von den wenigsten klar angesprochen. Diese Zurückhaltung hat sicherlich mehrere Gründe. Ein Grund ist sicher, dass sich viele schämen, zuzugeben, dass sie selbst nach Jahren des aktiven Wettkampfsports noch immer so nervös und aufgeregt sind, wenn der nächste große Wettkampf ansteht. Hinzu kommt, dass Angst häufig als Zeichen von Schwäche gesehen wird. Ein solches Signal passt weder ins Selbstbild eines erfolgreichen Sportlers, noch möchte ein Athlet eine derartige Botschaft an die Konkurrenz senden. Von daher findet wenig ehrlicher Austausch zu diesem Thema statt. Das hat zur Folge, dass eine nicht unerhebliche Zahl an Sportlern unter Wettkampfangst leidet, dabei, zumindest im Hobbybereich, allerdings so gut wie keine Unterstützung hat. Während Mentaltrainer und Sportpsychologen bei Spitzensportlern inzwischen Standard sind, machen viele Amateure mentale Fragen nach wie vor mit sich selbst aus. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht: So sind sie in physischer Hinsicht häufig recht gut betreut und beraten – hier ist es akzeptiert, beispielsweise bei einem Coach, externen Trainer oder erfahrenen Teamkollegen um Rat zu fragen, sich Tipps zu holen und Wissen auszutauschen. Was Strategien zum Umgang mit psychischem Stress wie etwa der extremen Nervosität vor einem Wettkampf angeht, sieht die Sache ganz anders aus. Diese Thematik wird oft heruntergespielt oder versteckt. Letztendlich kann dieses Vorgehen Zusatzstress bedeuten, da die betroffenen Sportler beim Wettkampf gewissermaßen „doppelt“ beschäftigt sind, also versuchen müssen, ihre Nerven irgendwie in Zaum zu halten und gleichzeitig die coole Fassade aufrechtzuerhalten.

Wenn das ganze System reagiert: vielschichtige Symptome

Was noch hinzukommt: Wettkampfangst muss zunächst als solche erkannt werden. Denn sie umfasst weit mehr als die sehr offensichtlichen und bekannten Reaktionen wie Sorgen oder Aufregung. Neben diesen naheliegenden Phänomenen äußern sich die race nerves in einer Vielzahl von Symptomen, die nicht unbedingt sofort mit der Nervosität vor dem anstehenden Wettkampf in Verbindung gebracht werden. Besonders spannend dabei: Bei zahlreichen Athleten treten vor allem starke physische Reaktionen auf. Das Institut für Sportwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin listet etwa folgende Phänomene[1]:

  • kalte und schweißige Hände
  • häufiger Toilettengang
  • erhöhtes Schwitzen sogar vor der körperlichen Anstrengung
  • negative Selbstgespräche
  • erhöhte Muskelanspannung
  • Magenkrämpfe
  • sich Krankfühlen
  • Kopfschmerzen
  • trockener Mund
  • Schlafschwierigkeiten
  • Konzentrationsschwierigkeiten

Unter Umständen dürfte dem einen oder anderen Leser gerade klarwerden, warum sich jedes Mal in der Woche vor dem Wettkampf eine Erkältung oder ein Infekt anzukündigen scheint! Die zitierte Liste ließe sich noch um zahlreiche weitere Symptome ergänzen. Dazu zählen negative Gedanken, die Befürchtung zu versagen, erhöhte Reizbarkeit, nervöse Unruhe, ein Gefühl der Anspannung sowie generelle Schwierigkeiten, zur Ruhe zu kommen, sich zu erholen und einzuschlafen. Bei den zuletzt genannten Symptomen ist der Zusammenhang zur Nervosität naheliegender, von daher fällt es leichter, sie einzuordnen. Anders sieht es dagegen bei den stärker körperlich ausgeprägten Symptomen aus. Bei ihnen kommt erschwerend dazu, dass sie ebenso eine rein physische Ursache haben können, etwa weil tatsächlich eine Erkältung im Anzug ist oder sich der Athlet den Magen verdorben hat. In solchen Fällen gilt es, genauer hinzusehen, selbst wenn das im Hinblick auf die Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme zu einer Gratwanderung werden kann. So sollte man bei einer tatsächlichen physischen Erkrankung auf den Start zu verzichten, um die eigene Gesundheit zu schützen. Geht man bei der Entscheidung, ob man antreten soll oder nicht, allerdings ausschließlich nach dem eigenen Gefühl, also dem rein subjektiven Empfinden des Athleten, dürfte es bei manchen Absagen nur so hageln. Zumindest ich selbst kenne einige Sportler, die unter dieser Prämisse wohl nie an einem großen Wettkampf teilgenommen hätten, weil sich bei ihnen in der Woche vor dem Start so gut wie immer der Gedanke einstellt, dass gerade jetzt der Hals kratzt, die Nase verstopft ist oder der Magen nicht mitspielt. Diese Reaktionen sollten ernst genommen werden – und idealerweise richtig eingeordnet. Bestärkt das Umfeld den Athleten in einer solchen Situation, in sich hineinzuhören und bei einer eventuellen Verschlimmerung der Symptomatik den Start auf alle Fälle abzusagen, weil unter diesen Umständen eine physische Erkrankung vorliegen muss, kann das zum erwähnten Teufelskreis führen, dass die Wettkampfangst den Sportler quasi jedes Mal ausbremst. Die finale Entscheidung muss selbstverständlich stets beim Betroffenen verbleiben und natürlich steht die Gesundheit an erster Stelle. Zeigt sich jedoch, dass beispielsweise die Grippe stets auf wundersame Weise wieder verschwindet oder sich die Magenprobleme schlagartig legen, wenn der Stressfaktor Wettkampf wegfällt, dann ist an eine vorrangig psychische Ursache zu denken. Hier lässt sich ansetzen, denn auch solche Aspekte lassen sich „trainieren“! Bei Bedarf helfen entsprechend qualifizierte Coaches oder Experten aus der Sport(psycho)therapie.

„Normale“ Aufregung vs. hinderliche Angst – wann besteht Handlungsbedarf?

Doch wann ist es eigentlich so weit, dass Hilfe in Anspruch genommen werden sollte? Eingangs wurde bereits geschrieben, dass so gut wie jeder Sportler Wettkampfangst zumindest in leichter Form kennt. Grundsätzlich ist die Aufregung vor dem Wettkampf also vollkommen normal und alles andere „therapiebedürftig“. Im Gegenteil, sie kann sich sogar leistungssteigernd auswirken. Wie ist das möglich? Ob die Angst anspornt oder ausbremst, ist stark davon abhängig, wie der Athlet sie wahrnimmt und wie er damit umgeht. Diese Erkenntnis hat sich in der Forschung weitgehend durchgesetzt und ist beispielsweise durch die Studien des englischen Sportpsychologen Graham Jones belegt. Grundannahmen sind dabei unter anderem: Geht ein Sportler mit einer zuversichtlichen Einstellung in den Wettkampf, ist optimistisch, alle auftretenden Schwierigkeiten zu meistern und sieht Hindernisse als Herausforderung an, kann die Angst geradezu beflügeln und die letzten Energiereserven mobilisieren. Ein Athlet mit einer solchen Einstellung wächst mit einer gewissen Grundaufregung unter Umständen förmlich über sich hinaus. Ist ein Sportler vor dem Start von seinen Gedanken dagegen regelrecht paralysiert, malt sich diverse Katastrophenszenarien aus und hat vor Aufregung bereits eine Pulsrate wie sonst nur unter Belastung, leidet selbstverständlich die Leistung und der Sportler bleibt unter seinen Möglichkeiten.

Doch warum kommt es zu so unterschiedlichen Reaktionen? Bei der Frage, welche Haltung überwiegt, ist laut Jones vor allem ausschlaggebend, ob der Sportler das Gefühl hat, die Dinge unter seiner eigenen Kontrolle zu haben und sie beeinflussen zu können oder ob er sich als den Umständen ausgeliefert wahrnimmt.[2] Die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen bzw. der Handlungsbedarf sind offensichtlich: Während man in erstem Fall die Dinge weiter laufen lassen kann wie bisher, gilt es im zweiten Fall Lösungen zu finden, wie der Sportler sich selbst künftig als selbstsicherer und selbstwirksamer erlebt und so mit größerem Selbstvertrauen in den Wettkampf geht. Einmal mehr kann bei Bedarf ein Coach, Psychologe oder Therapeut weiterhelfen.

Wie dringlich der Handlungsbedarf ausfällt, ist darüber hinaus stark von der Intensität der Angst abhängig, salopp formuliert also der Frage, ob sich die Anspannung auf weiche Knie beschränkt oder ob ein Sportler sich vor dem Start regelmäßig vor Anspannung übergeben muss. Doch wie lässt sich bestimmen, wann das Maß der Aufregung zu hoch ist bzw. welche Reaktionen zu heftig sind? Eine hilfreiche Ersteinschätzung bietet die subjektive Wahrnehmung der Situation durch den Sportler selbst sowie die Bewertung des Trainers. Mögliche Leitfragen sind:

  • Kann der Athlet die im Training gezeigte Leistung im Wettkampf abrufen oder bleibt er aufgrund seiner Aufregung deutlich unter dem, was er gewöhnlich im Training zeigt?
  • Wie stark leidet der Sportler unter der Anspannung an den Tagen vor dem Wettkampf? Werden dadurch Vorbereitung und Regeneration beeinträchtigt? Wenn ja, in welchem Maß?
  • Nimmt die Aufregung mit zunehmender Gewöhnung ab, bleibt sie gleich oder steigert sie sich sogar von Mal zu Mal?

Entsteht auf Basis solcher Überlegungen und Gespräche der Eindruck, dass die Wettkampfangst einen stark leistungsmindernden Faktor darstellt und den Sportler erheblich einschränkt, lässt sich die subjektive Bewertung durch eine neutralere Einschätzung ergänzen und konkretisieren. Für eine solche objektivere Bewertung existieren diverse sportpsychologische Fragebögen. Einschlägig für den Bereich der Wettkampfangst sind insbesondere der WAI-S (Wettkampf-Angst-Inventar State) und der WAI-T (Wettkampf-Angst-Inventar Trait). Beide sind auf der Website des Bundesinstituts für Sportwissenschaften kostenfrei abrufbar.[3] Die Ausrichtung der beiden Fragebögen ist grundsätzlich ähnlich, allerdings unterscheiden sie zwischen zwei zentralen Charakteristika, nämlich dem wettkampfbezogenen Angstzustand (State) und der Wettkampfängstlichkeit (Trait).

State-Angst vs. Trait-Angst:
Laut Psychrembel bezeichnet die State-Angst einen in der „mo­menta­nen, spezi­el­len Situati­on als un­an­genehm emp­fun­de­ner, ei­ne Bedrohung oder Ge­fahr si­gna­li­sie­ren­der Ge­fühls­zu­stand, z. B. „ich bin auf­gereg­t“. Der State-Angst-An­satz steht dem Trait-Angst-An­satz gegenü­ber, der Angst als relativ ü­ber­dauern­des Per­sön­lich­keits­merkmal ver­steht und in­dividuelle Neigun­gen zu Angst­re­ak­tionen be­schreibt.“[4]

Der WAI-S fragt mit insgesamt 12 Items die Bereiche „somatische Angst“ (z. B. in Form von körperlichen Symptomen und Beschwerden), „Besorgnis“ (z. B. Selbstzweifel und Sorgen) und „Zuversicht“ (z. B. die generelle Haltung gegenüber dem Wettkampf) ab. Der WAI-T ist mit insgesamt 14 zu bewertenden Aussagen ebenso kompakt und umfasst die Bereiche „somatische Angst“, „Besorgnis“ und „Konzentrationsstörungen“ (z. B. die Neigung, sich im laufenden Wettkampf von äußeren Umständen ablenken zu lassen). Beide Tests sind in der Durchführung sehr simpel und unkompliziert. Sie lassen sich problemlos von Sportlern und ihren Betreuern selbständig ausfüllen. Bei der Auswertung und Entscheidung über weiterführende Maßnahmen unterstützt ein Sportpsychologe.

„Charakterfrage“ – gibt es einen Wettkampftyp?

Es wurde bereits mehrfach angedeutet: Wettkampfangst betrifft eine Vielzahl von Sportlern und beschränkt sich keineswegs auf diejenigen, die noch wenig Erfahrung haben oder generell eher ängstlich sind. Allerdings gibt es einige Persönlichkeitszüge und Eigenschaften, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Sportler mit seinen Nerven zu kämpfen hat.

Um welche Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften, die potenziell die Wettkampfangst steigern, geht es konkret? Bei vielen dieser Merkmale ist der Zusammenhang recht offensichtlich und selbsterklärend. Betrachtet man die Forschung, zeigt sich etwa, dass Perfektionismus beim Auftreten von Wettkampfangst eine Rolle spielt.[5] Allerdings lässt sich daraus nicht vorschnell schlussfolgern, dass eine perfektionistische Grundhaltung automatisch mit Wettkampfangst einhergeht. Zum einen gibt es, über die Persönlichkeitsmerkmale hinaus, zahlreiche weitere Faktoren, die zusätzlich einspielen. Zum anderen ist Perfektionismus nicht gleich Perfektionismus. Das bedeutet, selbst bei den Perfektionisten gibt es Unterschiede, wie sie mit dem Druck umgehen. Die Wissenschaft unterscheidet deshalb zwischen zwei Formen von Perfektionismus. Eine diesbezügliche Studie zeigte, dass der „positive Perfektionismus“ mit weniger kognitiver und somatischer Angst einherging. Positiv bedeutet in diesem Fall, dass der Athlet nach Bestleistungen strebt und mit Disziplin daran arbeitet, diese zu erreichen. Anders sieht es dagegen beim „negativen Perfektionismus“ aus, bei der ein Sportler das Augenmerk vor allem auf seine Schwächen legt, also insbesondere den Mangel an Perfektion wahrnimmt. Diese Art des Perfektionismus resultiert potenziell in größerer kognitiver und somatischer Angst sowie einem geringeren Selbstbewusstsein. Zusammengefasst bedeutet das: Strebt ein Athlet danach, sich selbst zu verbessern und sieht er Wettkämpfe grundsätzlich als Herausforderung an, fällt seine Angst in der Regel geringer aus. Befürchtet ein Sportler dagegen, den Anforderungen nicht gerecht zu werden und hat das Gefühl, nicht gut genug zu sein, steigert das seine Nervosität. Dieser Zusammenhang ist sehr naheliegend und dürfte für die wenigsten überraschend sein. Warum kann dieses Wissen trotzdem hilfreich sein? Vielfach sind wir uns unserer eigenen Muster und Verhaltensweisen kaum bewusst, schon allein deshalb, weil sie sich für uns „normal“ anfühlen und wir vielleicht schon immer so an die Dinge herangegangen sind. In derartigen Fällen kann es helfen, sich beispielsweise bewusst darüber zu werden, welche Gedankenschleifen vor einem Wettkampf ablaufen und wie diese die eigene Nervosität verringern oder verstärken. Damit ergibt sich ein konkreter Ansatzpunkt, an dem, ggf. mit Unterstützung durch einen Experten, weitergearbeitet werden kann.

Was bei einem solchen nächsten Schritt darüber hinaus unbedingt zu berücksichtigen ist: Die Frage, wie viel Anspannung ein Athlet als „angenehm“ empfindet und vielleicht sogar als push braucht, um Höchstleistungen zu erbringen. In der Forschung werden diese mitunter „Individual Zones of Optimal Functioning (IZOF)“[6] bezeichnet. Die dahinterstehende Theorie besagt, dass die Leistung eines Sportlers dann besonders gut ausfällt, wenn sich seine Vor-Wettkampf-Angst in oder sehr nahe an seiner persönlichen „In-Zone“ bewegt. Das Entscheidende daran: Die individuelle Zone kann dabei sehr hoch liegen. Das bedeutet, ein solcher Athlet ruft vor allem bei starker Anspannung seine Bestleistung ab – wäre er vor dem Wettkampf zu entspannt, würde es bei ihm nicht mehr laufen!

Individuelle Besonderheiten und persönliche Umstände spielen darüber hinaus dann mit ein, wenn ein Sportler kürzlich eine sehr negative Erfahrung gemacht hat, beispielsweise einen Wettkampf nicht zu Ende führen konnte. Die Befürchtung, eine solche Erfahrung ein zweites Mal machen zu müssen und beispielsweise wieder einzubrechen, kann einen erheblichen Stressfaktor darstellen und dazu führen, dass der Athlet plötzlich nicht mehr in „seiner“ Zone ist. Je nachdem, wie einschneidend eine solche Erfahrung war und wie stark sie dem Einzelnen nachhängt, kann es hilfreich sein, punktuell Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um solche Rückschläge und Negativerlebnisse möglichst schnell zu überwinden.

Die Rolle des Umfelds – sportartenabhängige Faktoren

Was spielt darüber hinaus eine Rolle? Neben den individuellen Faktoren gibt es noch eine Reihe externer Faktoren, die Wettkampfangst schüren oder dämpfen können. Einer davon ist die ausgeübte Sportart. Aus Laiensicht erscheint es naheliegend, dass es einen Unterschied macht, ob man als Sportler sozusagen alleine auf dem Präsentierteller steht oder ob man auf den Rückhalt durch ein Team vertrauen kann. Ein Blick in die Forschung bestätigt diese Annahme. So hat die ausgeübte Sportart auf die Intensität und Häufigkeit von Wettkampfangst offensichtlich in gewissem Rahmen einen Einfluss. Es liegen beispielsweise Studien vor, die nahelegen, dass Teamsportler, durchschnittlich betrachtet, seltener unter Angst und Depressionen leiden.[7] Diese Beobachtung scheint auf die Sonderform der Wettkampfangst übertragen zu sein. Das bedeutet, neben der allgemeinen Angst ist auch die Wettkampfangst bei Teamsportlern tendenziell geringer ausgeprägt. Woran kann das liegen? Die Gründe hierfür sind recht naheliegend. So wird als mögliche Erklärung diskutiert, dass bei Individualsportarten eine stärke Fokussierung auf den einzelnen Athleten stattfindet. Die Auswirkungen dieser fokussierten Aufmerksamkeit lassen sich leicht nachvollziehen: So ist die Situation eines Kraftsportlers auf der Bühne, der in einem sehr begrenzten Zeitfenster voll performen muss, eine ganz andere als die eines Mittelfeldspielers im Fußball, der über die 90 Minuten streckenweise auch ein Stück weit „mitlaufen“ kann und bei dem kleinere Patzer kaum oder überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Dieser Aspekt erhöht potenziell den Druck, der auf Einzelathleten lastet. Hinzu kommt, dass im Amateurbereich viele Individualsportler auch in trainingstechnischer Hinsicht Einzelkämpfer sind. Denn in Teamsportarten geht es logischerweise nur mit gemeinsamem Training und selbst in den untersten Ligen ist es üblich, dass eine Mannschaft einen Trainer hat oder zumindest ein erfahrenes Teammitglied als Spielertrainer diese Funktion übernimmt. In Einzelsportarten dagegen trainieren im Hobbybereich mittlerweile viele mit Plänen aus dem Internet und können somit auf keinerlei individuelle Beratung oder personalisierten Wissensaustausch zurückgreifen. Das macht es für Neueinsteiger gerade vor den ersten Wettkämpfen alles andere als leicht! In solchen Momenten kann es den Einstieg erheblich erleichtern, sich punktuell Beratung zu organisieren und sich so auf den eigenen Wettkampf anstatt auf den Kampf mit den eigenen Nerven konzentrieren zu können. Sind die ersten Erfahrungen gemacht (und vielleicht sogar kleine Erfolge eingefahren…), wird für viele dann, Schritt für Schritt, aus der anfänglich starken Nervosität oft eine angenehm-aufregende Vorfreude auf die bevorstehende Veranstaltung!

Fragen oder Interesse an einem weiteren Austausch? Ich freue mich über alle Nachrichten!

Sabine Nunius | sabine.nunius@sanu-training.com

[1] https://www.spowi.hu-berlin.de/de/institut/sportpsychologie/fuer-die-praxis/wettkampfangst-1, abgeruf. 22.10.2024

[2] Jones, G. (1995) More than Just a Game: Research Developments and Issues in Competitive Anxiety in Sport. British Journal of Psychology, 4, 449-478. http://dx.doi.org/10.1111/j.2044-8295.1995.tb02565.x

[3] https://www.bisp-sportpsychologie.de/SpoPsy/DE/Diagnostikportal/Angst/Sportlerfrageboegen/sportlerfrageboegen_node.html, abgeruf. 22.10.2024

[4] https://www.pschyrembel.de/State-Angst/P01T9, abgeruf. 22.10.2024

[5] Shabnam Hamidi, Mohammad Ali Besharat, Perfectionism and competitive anxiety in athletes, Procedia – Social and Behavioral Sciences, Volume 5, 2010, Pages 813-817, ISSN 1877-0428, https://doi.org/10.1016/j.sbspro.2010.07.190 (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1877042810015648)

[6] Jokela M, Hanin YL. Does the individual zones of optimal functioning model discriminate between successful and less successful athletes? A meta-analysis. J Sports Sci. 1999 Nov;17(11):873-87. doi: 10.1080/026404199365434. PMID: 10585167.

[7] Pluhar E, McCracken C, Griffith KL, Christino MA, Sugimoto D, Meehan WP 3rd. Team Sport Athletes May Be Less Likely To Suffer Anxiety or Depression than Individual Sport Athletes. J Sports Sci Med. 2019 Aug 1;18(3):490-496. PMID: 31427871; PMCID: PMC6683619.