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Olympische Marathonvorbereitung


Unsere dba-Dozentin Dr. Laura Hottenrott nahm in Paris erfolgreich am Olympischen Marathon teil. Wie Sie sich auf den anspruchsvollen Kurs über 42,195 km vorbereitet hat und welche Anforderungen sich an die Trainingsplanung ergeben haben, wird nachfolgend dargelegt.
Es ist der 29. Januar dieses Jahres. Die Frankfurterin Katharina Steinruck läuft in Osaka den Marathon. Nach 2:24:56 h ist Sie mit persönlicher Bestzeit im Ziel. Damit haben sechs (!) deutsche Frauen die Olympianorm von 2:26:50 h unterboten. Aber nur die schnellsten drei Frauen können in Paris starten. Die Zitterpartie von Laura Hottenrott ist vorbei. Sie hat das Ticket für die Olympischen Spiele in Paris mit der Zeit von 2:24:32 h aus dem Dezember in Valencia gelöst. Am 11. Februar erfolgt die offizielle Nominierung durch den DOSB. Bis zum Marathon in Paris am 11. August sind es sechs Monate. Beim Silvesterlauf über 15 km von Werl nach Soest läuft Laura mit einer Zeit von 49:31 min deutlichen Streckenrekord. Sie ist also in einer sehr guten Form. Mir ist jedoch klar, dass man diese Form nicht über Monate hinweg aufrechterhalten kann. Für eine Sportlerin nicht einfach, jetzt einen Weg zu gehen, der zunächst nicht zum weiteren Leistungsaufbau beiträgt.
Bevor ich nachfolgend unseren Trainingsplan bis Paris skizziere, möchte ich auf die besonderen Anforderungen des Olympischen Marathons und die Rahmenbedingungen eingehen, die bei der Trainingsplanung von Bedeutung sind.
Anforderungen an die Trainingsplanung
a) Streckenprofil: Mit 438 HM unterscheidet sich der Marathon erheblich von den klassischen flachen Stadtmarathons. Die beiden Anstiege nach 15 km und und 28 km sowie langen und steilen Bergababschnitte mit bis zu 13,5% Gefälle sind in der Trainingsplanung zu berücksichtigen.
b) Klima: Im August kann es in Paris zu sehr hohen Temperaturen kommen. Die Anpassung an die Hitze muss rechtzeitig im Training erfolgen, wofür ein geeigneter Trainingsort erforderlich ist.
c) Anreise: DOSB und DLV haben die Anreise für die Marathonis auf frühestens Dienstag vor dem Rennen am Samstag/Sonntag festgelegt. Eine Teilnahme an der Eröffnungsfeier war damit nicht erlaubt.
d) Schuhwahl: Welcher Wettkampfschuh ist für bergauf, bergab, flach und Kopfsteinpflaster am besten geeignet und wie muss dies im Training zuvor getestet werden?
e) Trainingslager: Alle Trainingslager müssen mit dem DLV abgestimmt und genehmigt werden.

Ich denke es wird ersichtlich, dass es recht komplexe Anforderungen für die Erstellung des Trainingsplanes mit einer geeigneten Periodisierung und Zyklisierung sind. Zu planen war also ein Makrozyklus über sechs Monate mit allgemeiner und spezieller Vorbereitungsphase sowie der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung (UWV). Dabei galt es Verletzungen und Überforderungen zu vermeiden und einen guten Gesundheitszustand (keine COVID-Erkrankung, etc.) über den gesamten Zeitraum sicher zu stellen.

Allgemeine Marathonvorbereitung:
Für die Schaffung allgemeiner Grundlagen haben wir den Schwerpunkt auf Skilanglauf, Bergwandern und Trail Running gelegt.
Das erste Trainingslager Anfang Februar über 14 Tage führten wir in Livigno (1900 HM) durch. Mit Skilaufen im Diagonalschritt, Skating und Tourengehen mit Fellen unter den Cross-Country-Skiern sowie einigen kurze Laufeinheiten konnten über 25 h in der Woche trainiert werden.
Für das zweite Trainingslager im März wählten wir Teneriffa. Der Nationalpark auf einer Höhe über 2100 M ist hervorragend für Bergwandern und Trail Running geeignet. So konnten wir recht frühzeitig die spezielle Kraftausdauer im Anstieg und Abstieg trainieren. Die Muskulatur wird gerade beim Bergabgehen beispielsweise vom Teide (3750 M) exzentrisch stark beansprucht und wurde somit auf die steilen Bergabpassagen des olympischen Marathons „schonend“ vorbereitet. Etwas spezieller wurde die Muskulatur dann beim Traillaufen mit häufigeren Wechseln bergauf und bergab trainiert. Auch das Laufen auf wechselndem Untergrund auf Geröll, Steinen und Wurzeln trainiert die Fußmuskulatur und fördert die Koordination.

 

 

Spezielle Marathonvorbereitung:
Für die spezielle Vorbereitungsphase wählten wir die Trainingsorte Livigno und Sierra Nevada. An beiden Orten schätzen wir die Höhenbedingungen und kürzere Anreise im Vergleich zu Kenia oder Südafrika. Livigno hat eine Laufbahn auf 1850 m Höhe und die Sierra Nevada auf 2320 m. Da ich eine Periodisierung von drei Wochen Belastung gefolgt von einer Woche Entlastung vorgebe, bietet es sich an, häufigere und dafür kürzere Trainingslager von zwei bis drei Wochen zu planen und regelmäßig den Leistungsfortschritt in einer Leistungsdiagnostik bei mir am Institut zu überprüfen und die Trainingsbereiche fortlaufend anzupassen. Um die Anpassung an die Höhenbedingungen zu steuern und Überforderungen zu vermeiden, nutzen wir seit vielen Jahren die Herzfrequenzvariabiltät (HRV). Mit einem morgendlichen vierminütigen Lagewechseltest (Orthostatic Test) können wir den aktuellen Zustand des autonomen Systems präzis erfassen und ggf. Änderungen am Trainingsplan kurzfristig vornehmen.

 

Nicht zu unterschätzen ist bei der Anpassung an Höhenbedingung plötzlich auftretender Zahnschmerz. In der Zahnmedizin wird von von einer Barodontalgie, also einem Höhenzahnschmerz gesprochen. Dieser kann durch den Druckunterschied in Höhenlagen plötzlich an vorgeschädigten Zähnen auftreten. Da man dies sicher nicht in der unmittelbaren Olympiavorbereitung braucht, war es uns wichtig vor dem Höhentraining alle Zähne untersuchen zu lassen.
In Livigno und der Sierra Nevada lag der Schwerpunkt auf hohen Laufumfängen von 180 bis 200 Wochenkilometern. Für die speziellen Anforderungen des Streckenprofils in Paris haben wir insbesondere profilierte Long Runs über 32 km mit wechselnder Geschwindigkeit, sowie Programme mit kurzen wiederholten Intervallen über 300 und 400 m eingebaut, um die Muskulatur auf die erhöhten Geschwindigkeiten beim Bergablaufen vorzubereiten. In Paris gilt es 438 Höhenmeter bergab mit einer Pace um die 3:10-15 min/km zu laufen und dabei muskulär nicht fest zu werden, um im Flachen noch weiterhin um die 3:30 min/km laufen zu können.
-Streckenbesichtigung in Paris
Anfang Juni ist das Olympiateam mit Marathonbundestrainer Matthias Kohls für zwei Tage nach Paris geflogen. Die komplette Strecke lies sich mit dem Verkehr in Paris natürlich nicht ablaufen. Die wesentlichen Bergauf- und Bergabpassagen wurden gelaufen. Das Fazit war: Es ist in der Realität deutlich steiler, als es auf Bildern und Videos zu sehen ist.
-Testlauf nach der Sierra Nevada
Bei der Diskussion um den „perfekten Wettkampftag“ nach der Höhe sind sich die meisten Sportwissenschaftler einig. Tag 1 und 2 sowie die Tage 12-14 sind sehr gut. Dies deckt sich mit unseren bisherigen Erfahrungen. Mit der Anreise nach Paris am Mittwoch sind wir nun aber bei Wettkampftag 4 nach der Höhe. Dies kann funktionieren, wenn das Training und die Abschlusseinheit richtig angepasst werden. Mir war aber wichtig, dass Laura dies zuvor einmal testet. So haben wir uns entschieden nach dem ersten Trainingslager in der Sierra Nevada im Juni einen Testlauf am 4. Tag nach der Höhe in Wettkampfschuhen (Asics Metaspeed Edge Paris), mit Wettkampfverpflegung (Blackline Powerbar) und in Wettkampfpace auf dem Laufband bei 22°. Der Testlauf war für Laura subjektiv auf dem Laufband sehr hart, aber die Lakat- und Herzfrequenzwerte stimmten uns optimistisch.

Unmittelbare Wettkampfvorbereitung:
Ein zweites Mal ging es dann für knapp zwei Wochen nochmal in die Sierra Nevada. Diesmal stand insbesondere die Hitzeanpassung im Vordergrund. In Granada ist es mit um die 38°C deutlich wärmer als in den Bergen von Livigno oder St. Moritz. Mit zwei Läufen über 20 km und einem Tempolaufprogramm von 4 x 2250 m in der Mittagshitze konnte eine effektive Anpassung an hohen Temperaturen erzielt werden. Als Kühlungsstrategie für den Wettkampf haben wir das Runterkühlen des Körpers vor intensiver Belastung mit einem Eisbecken geübt. Das Eisbecken sollte dann auch im Warm Up Bereich in Paris zur Verfügung stehen. Die Anreise von Granada nach Paris war mit 1,5 h Flugzeit kurz und unkompliziert.

Der Olympische Marathon Paris


Wie zu erwarten wurde es am Wettkampftag sehr warm. Die Höchsttemperatur am Sonntag in Paris betrug 32°C. Am Rennmorgen war es noch angenehm. Um 4:45 Uhr ging es zum Frühstück, denn bereits um 5:30 Uhr fuhren die Busse vom Olympischen Dorf ab. Viel Zeit bis zum Start um 8:00 Uhr.
Für das Aufwärmen stand allen Athletinnen ein etwa 200 m langer Pendelkurs zur Verfügung. Als Heimtrainer habe ich keine Akkreditierung, so dass ich bei den Startvorbereitungen, nicht dabei sein konnte. Auch zum Olympischen Dorf haben Heimtrainer keinen Zugang. In der Rennwoche wurde Laura kurzfristig mitgeteilt, dass das Eisbecken doch nicht im Warm Up Bereich plaziert werden kann. Sehr schade, aber ärgern hilft in dem Moment nichts. Unsere Strategie für den Marathon war defensiv ausgerichtet, d.h., die ersten 10 km nicht im vorderen Feld mitzulaufen. Dies zahlte sich auch positiv im weiteren Rennverlauf aus. So konnte sich Laura von Platz 69 stetig nach vorn kämpfen und das Ziel nach 2:31:19 h mit Platz 38 erreichen. Die schnellsten Kilometer lief sie in 3:20-3:21 min und die beiden langsamsten im steilen Anstieg in 4:06 und 4:09 min.

Tabelle: Rennverlauf und Rangplatz
Entfernung Zeit Rangplatz
5 km 17:33 69
10 km 34:48 64
15 km 52:30 65
20 km 1:11:18 54
Halbmarathon 1:15:13 54
25 km 1:29:92 51
30 km 1:47:56 41
35 km 2:05:24 41
40 km 2:23:36 39
Finish 2:31:19 38

Rennanalyse
Analysiert man das Rennergebnis, so konnte Laura ihren Road to Paris Rangplatz 49 (basierend auf der PB 2:24:32 h) um 11 Plätze verbessern. Fast keine der 91 Athletinnen ist im olympischen Marathon nahe ihrer persönlichen Bestzeit gelaufen. Die Abstände zu den jeweiligen PBs variieren stark. Während Domenika Meyer und Laura Hottenrott zur PB 6:27 min bzw. 6:47 min hatten, war der Unterschied bei einigen Topathletinnen zu ihren PBs deutlich höher und besonders groß bei der Silbermedaillengewinnerin Tigist Assefa mit 11:03 min zu ihrer Weltrekordzeit von 2:11:53 h. Die relativ hohen Zeitdifferenzen zu den persönlichen Bestzeiten erklären sich durch den anspruchsvollen Streckenkurs mit 438 Höhenmetern und den heißen klimatischen Bedingungen von 27-30°C in der letzten Stunde des Marathons und damit auch deutlich wärmer als das Marathonrennen der Männer tags zuvor.

Autor: Prof. Dr. Kuno Hottenrott