Modelle der Trainingsplanung im Ausdauersport
Welche Trainingsmodelle gibt es und wann ist welches Modell anzuwenden?
Prof. Dr. Kuno Hottenrott
Eine der schwierigsten Aufgaben im Trainingsprozeß ist es, die richtigen Anteile für das Training der einzelnen Fähigkeiten hinsichtlich Intensität und Umfang im Mikro-, Meso- oder Markrozyklus (z.B. Wochen-, Monats- und Jahreszyklus) festzulegen. Eine fundierte wissenschaftliche Grundlage hierfür existiert bisher nicht. Orientierung geben Trainingsanalysedaten von Leistungssportlern, die in Form von Einzel- oder Gruppenanalysen vorliegen, in der Regel aber in Bezug zum sportlichen Erfolg nicht umfassend validiert sind. Daraus abgeleitete Rahmentrainingspläne haben überwiegend beschreibenden Charakter. Sie helfen Trainern und Sportlern für die Strukturierung des Trainings, können aber keine Garantie für den Trainingserfolg geben.
Unstrittig ist, dass in der Vorbereitung eines Wettkampfhöhepunktes der Gesamtbelastungsumfang sowohl in den Kraftsportarten als auch den Ausdauersporten ansteigt. Je mehr sich das Training auf den wichtigen Wettkampf nähert, umso größer werden die Intensitätsanteile. Wie hoch der Umfang im jeweiligen Intensitätsbereich sein soll, hängt von der Leistungsfähigkeit der Sportler, dem Periodisierungsmodell, der Zyklisierung und dem Gesamttrainingsumfang ab.
Grundsätzlich lassen sich für das Ausdauertraining drei Periodisierungsmodelle unterscheiden. Das Polarisierte Trainingsmodell ist gekennzeichnet mit sehr hohen Trainingsumfängen in geringer Intensität (GA 1-Training), sehr geringen bzw. keinen Umfängen im Bereich der anaeroben Schwelle (GA2-Training) und einem geringen bis mittleren Umfang im hochintensiven Bereich (WSA-Training). Im Gegensatz dazu weist das Schwellentrainingsmodell ein deutlich höheres Trainingsvolumen im GA2-Bereich auf. Beim Pyramidentrainingsmodell sind die höchsten Trainingsumfänge im GA1-Bereich, mittlere Umfänge im GA2-Bereich und geringere Umfänge im WSA-Bereich. Wie hoch der Trainingsumfang in den drei Intensitätszonen der jeweiligen Trainingsmodelle ist, ist von der Sportart, der Streckendistanz (z.B. 5 km, 10 km, Halbmarathon, Marathon), vom Leistungsniveau der Sportler und unterscheidet sich, ob sich der Sportler oder die Sportlerin in der allgemeinen, der speziellen Vorbereitung oder der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung befindet.
Grafik 1: Charakterisierung von Periodisierungsmodellen anhand unterschiedlicher Tainingsumfänge (Volumen) in den drei Intensitätszonen (aus Hottenrott & Neumann, 2020)
Wann nach welchem Modell trainieren?
Die Wahl des Modelles hängt stark von der Wettkampfgeschwindigkeit in den jeweiligen Disziplinen ab. Liegt die Renngeschwindigkeit im Bereich der anaeroben Schwelle, wie beim Marathon oder Halbmarathon, dann sollte in der allgemeinen Vorbereitungsperiode nach dem polarisierten Modell trainiert werden und in der speziellen Vorbereitung sowie unmittelbaren Wettkampfvorbereitung nach dem Schwellenmodell. Der Marathon wird im unteren Bereich der anaeroben Schwelle (Zone 2) und der Halbmarathon im oberen Bereich der Zone 2 gelaufen. Für die spezielle Vorbereitung sind von daher Trainingseinheiten in diesen Intensitätsbereichen sehr wichtig. Wer kürzere Strecken läuft, dem empfehle ich nach dem Pyramidenmodell zu trainieren. Die Renngeschwindigkeit liegt dann bereits in der Zone 3.
Argumente für das Schwellen-Modell
• Schnelle Leistungsentwicklung
• Ausprägung maximaler Herzvolumia (Sportherz)
• Ausprägung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max)
• Höhere relative Geschwindigkeit näher an der VO2max (>%vVO2max)
• Höheres Stehvermögen/Tempohärte
• Schnelle Überforderung
• Gefahr für einen Übertrainingszustand
• Geringere Gesamttrainingszeit
Argumente für das Polarisierte Modell
• Entwicklung einer hohe aerobe Basisleistung
• hohe Belastungsverträglichkeit
• geringe Gefahr für Übertraining
• Stabile Immunabwehr
• Entwicklung einer hohen Bewegungsökonomisierung
• Ausprägung der Schnelligkeit
• Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme
• Stabiler Leistungsaufbau
Übertragung der Trainingsmodelle auf das Fünf-Zonen-Modell
Die dargestellten Periodisierungsmodelle basieren auf drei Trainingszonen. Für eine gezielte Reizsetzung im leistungsorientierten Lauftraining sind drei Trainingszonen zu gering. Ich empfehle das Training in mindestens fünf Trainingszonen zu differenzieren. Die Abgrenzung der einzelnen Zonen erfolgt optimalerweise auf der Basis eines Laktatstufentests. Die Grafik 2 zeigt, wie ich die fünf Zonen bei mir am Institut anhand der Laktat-Geschwindigkeits-Kurve festlege.
Grafik 2: Fünf Trainingszonen – festgelegt anhand der aeroben und anaeroben Laktatschwelle
Wer diese Möglichkeiten nicht hat und das Training mit der Herzfrequenz steuert, kann die Zonen prozentual von der maximalen Herzfrequenz bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Prozentwerte unterschiedlich bei Männern, Frauen, Jugendlichen und Kindern sind. So sollten beispielsweise Frauen die langsamen Dauerläufe im GA 1-Bereich bei einer relativ höheren Herzfrequenz durchführen als Männer. In Tabelle 1 werden die jeweiligen Prozentwerte für die Trainingsbereiche dargestellt.
Tabelle: Alters- und geschlechtsbezogene Trainingszonen, abgeleitet von der maximalen Herzfrequenz (nach Hottenrott & Neumann, 2020)
Grafik 3: Typische Festlegung der fünf Trainingszonen anhand der maximalen Herzfrequenz
(aus Hottenrott, 2006)
Wer mit einem Herzfrequenz-Messgerät trainiert, sollte die vom Hersteller voreingestellten Werte entsprechend den Ergebnissen einer Leistungsdiagnostik oder nach den Angaben aus Tabelle (s. oben) anpassen. Bei den Sportuhren von Polar werden die einzelnen Trainingszonen in 10% Schritten voneinander abgegrenzt, wie dies in der Grafik 3 dargestellt wird. Mit dem Programm Polar Flow können die Herzfrequenz-Zonen für jede Sportart individuell festgelegt. Dies ist nicht nur für das Training in der richtigen Intensität von Bedeutung, sondern für die Trainingsanalyse.
Übertragung der 3-Zonen-Periodisierungsmodelle auf fünf Trainingszonen:
Zone 1: REKOM + GA 1 + GA 1-2 Training
Zone 2: GA 2- Training an der anaeroben Schwelle
Zone 3: WSA-Training
Typische Trainingseinheiten für das Polarisierte Training:
• Lange aerobe Dauerläufe im Grundlagenausdauerbereich 1 (G A1) über 1 bis 3 Stunden
• Wechselhafte Dauerläufe als Fahrtspielmethode im GA 1 bis GA 1-2 Bereich 45-90 min
• Intensivere Dauerläufe an der aeroben Schwelle (GA 1-2) über 30-90 min
• Hochintensive Intervallläufe (WSA):
• 8-15 x 200 m mit 200 m Trabpause oder 6-12 x 400 m mit 400 m Trabpause
Typische Trainingseinheiten für das Schwellentraining (GA 2) am Beispiel Marathon:
• 6-12 x 1000 m mit 110% der Rennpace
• 3-6 x 2000 m mit 105% der Rennpace
• 2-4 x 3000 m mit 100% der Rennpace
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Grafik 4: Beispiel einer Intensitätsverteilung, wenn in der unmittelbaren Marathonvorbereitung nach dem Schwellen-Modell trainiert wird. In Zone 4, d.h. an der anaeroben Schwelle wurden 31% des Wochentrainingsvolumens gelaufen und in Zone 3, d.h. im Bereich der aeroben Schwelle 38%:
Häufige Anfängerfehler in Bezug auf die Trainingsverteilung
1. zu intensiv in den Trainingszonen 1 und 2
2. zu schnell zu viel Trainingsvolumen in Trainingszone 3 und 4
3. wenig Abwechslung, monotone Trainingsgestaltung
4. ungünstiges Trainings-Erholungs-Verhalten
5. keine individuelle Festlegung der Trainingszonen
6. unzureichende Zyklisierung und Periodisierung
7. keine Ernährungsperiodisierung
Literatur:
Hottenrott, K. (2006). Trainingskontrolle mit Herzfrequenz-Messgeräten. Aachen: Meyer & Meyer.
Hottenrott, K. & Neumann, G. (2020). Trainingswissenschaft. Ein Lehrbuch in 14 Lektionen. 4. Auflage, Aachen: Meyer & Meyer.