Low Energy Availability – Leistung in Gefahr
von Daniel Schoon
Soziale Medien haben sich in den letzten Jahren zu einer der etabliertesten Informationsquellen für Ernährung, Training und Gesundheit entwickelt. Insbesondere sogenannte Healthfluencer verbreiten über diese Plattformen leichtfertig Abnehm- und Ernährungstipps, oft ohne konkrete wissenschaftliche Grundlage. Während einige Empfehlungen ungefährlich sind, birgt der ungefilterte & unkritische Konsum solcher Inhalte ernsthafte Risiken für die Gesundheit [1,8].
Ein noch weniger unter den Bundesbürgern & Fitnesstreibenden bekanntes Phänomen ist die Low Energy Availability (LEA) – ein Zustand, in dem der Körper über eine längere Zeitspanne weniger Energie erhält, als er für grundlegende Funktions- und Leistungsfähigkeit benötigt [1,6]. Was als für viele harmlose „Fettreduktion oder Diät“ beginnt, kann schnell zu Störungen im endokrinen System (gestörte Hormonbalance), Leistungseinbußen und langfristigen größeren gesundheitlichen Schäden führen [3,7].
Vor allem der Trend zu starken und extremeren Formen der Kalorienrestriktionen oder Detox-Kuren, sogenannten „Entgiftungs“-Diäten, trägt fundamental dazu bei, dass immer mehr Fitnesstreibende und Athleten – sowohl im Leistungssport als auch im Freizeitbereich – unbewusst in einen energetischen Mangelzustand geraten und ihr Ausgabenkonto an Energie sprengen [2,5].
Doch wie groß ist die Problematik wirklich? Welche Folgen hat LEA für unser gesamtes System und die systemischen Prozesse dahinter? Und vor allem: Wie lässt sich dem entgegnen, dass fehlgeleitete Social-Media-Trends langfristig unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit gefährden? In dieser Publikation begeben wir uns auf eine Reise in die Schattenseite von Ernährung und Selbstoptimierung, um einem aktuell übersehenen Problem Einhalt zu gebieten.
Was ist Low Energy Availability (LEA)?
LEA ist vereinfacht erklärt der Zustand, in dem das „Energie-Konto“ (Gesamtenergieumsatz) des Körpers ins Minus rutscht. Täglich benötigen und verbrennen wir Energie in Form von Kalorien für unsere Grundfunktionen – Atmung, Organarbeit, Hormonproduktion – und zusätzlich für jede sportliche Aktivität. Wird dauerhaft mehr Energie ausgegeben, als zugeführt wird, entsteht ein Energiedefizit, das der Körper durch Maßnahmen zu kompensieren versucht [6].
Was oft vergessen wird: Der Körper ist kein einfaches Bankkonto, das einfach „überzogen“ werden kann. Wenn dauerhaft zu wenig Energie für lebenswichtige Prozesse übrig bleibt, beginnt er, zu priorisieren und Prioritäten zu setzen, meist auf Kosten unserer Gesundheit sowie Leistungsfähigkeit [2]. LEA ist also kein einmaliges Kaloriendefizit – sondern ein chronischer Energiemangelzustand, der oft unbewusst entsteht und langfristig gesundheitliche Schäden verursacht und sich weiter steigern kann [4]. Das Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch ist daher nicht nur für sportliche Leistung, sondern auch für die allgemeine Gesundheit von zentralisierter Bedeutung [3].
Warum Low Energy Availability (LEA) ein unterschätztes Risiko darstellt
Low Energy Availability (LEA) ist ein recht weit verbreitetes, aber oft übersehenes Problem in der Sport- und Fitnesswelt [1]. Während der Fokus häufig auf Makronährstoffverteilung (Verteilung von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß) und Kalorienbilanz liegt, wird die tatsächliche Energieverfügbarkeit oft nicht beachtet. Dabei zeigen Studien, dass LEA erhebliche Konsequenzen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit haben kann – und das in einem viel größeren Umfang als bisher angenommen [5,7].
Höhere Prävalenz als erwartet – ein schleichendes Problem
Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass LEA keineswegs nur ein Problem von Hochleistungssportlern ist, sondern ebenso ambitionierte Freizeit- und Hobbysportler betrifft.
Eine Meta-Analyse von Gallant et al. (2024) ergab, dass 44,7 % der Athleten Anzeichen von LEA zeigen, unabhängig von Leistungsniveau oder Sportart [2]. Besonders betroffen sind Ausdauer- und Gewichtsklassensportarten, da hier eine bewusste oder unbewusste Kalorienrestriktion oft Teil des Trainings ist [1]. Auch männliche Athleten sind zunehmend betroffen, was frühere Annahmen über die Exklusivität von LEA als „Frauenproblem“ widerlegt [3].
LEA bleibt oft unbemerkt – bis erste Symptome auftreten
Ein zentrales Problem ist, dass sich die Folgen von LEA schleichend entwickeln und oft erst erkannt werden, wenn bereits gravierende Einschränkungen in der Gesundheit oder Leistungsfähigkeit auftreten.
Eine Studie von Jeppesen et al. (2024) zeigt, dass bereits nach 14 Tagen LEA die Leistungsfähigkeit sinkt, begleitet von einem signifikanten Anstieg des Stresshormons Cortisol um 22 % [4]. Selbst nach drei Tagen Refeeding blieben die Leistungseinbußen bestehen, was darauf hindeutet, dass der Körper nicht sofort regenerieren kann, wenn die Energieverfügbarkeit zu lange im Defizit war.
Viele Athleten ignorieren frühe Anzeichen wie Schlafprobleme, anhaltende Müdigkeit oder schlechte Erholung, weil sie nicht direkt mit LEA in Verbindung gebracht werden.
Warum geraten Athleten in einen chronischen Energiemangel?
Low Energy Availability (LEA) tritt auf, wenn die Aufnahme an Energie in Form von Kalorien nicht ausreichend ist, um neben dem Alltag, Bewegung, Training auch grundlegende physiologische Funktionen aufrechtzuerhalten [6]. Besonders betroffen sind Athleten mit hohen Trainingsvolumen, in Kombination mit restriktiven Ernährungsgewohnheiten oder auch falscher Einschätzung ihres Gesamtenergiebedarfs [2].
Gerade Fitnesstreibende und Athleten unterschätzen massivst ihren wirklichen Kalorienverbrauch, insbesondere bei Sportarten mit erhöhtem Energiebedarf [1].
Studien & Untersuchungen zeigen, dass selbst Leistungssportler weniger Energie zuführen als eigentlich notwendig wäre. Häufig wird der Nachbrenneffekt sowie der gesamte Energieumsatz fehlerhaft berechnet [5]. Wird die Kalorienzufuhr trotz steigender Trainingsbelastung nicht angepasst, entsteht schnell ein Defizit, das chronisch werden kann [3].
Restriktive Diätmethodiken zum Management des Körpergewichtes verstärken diese Gefahr noch. Vor allem kohlenhydratarme Ernährungsweisen oder andere Spezialdiäten und sich dazugesellende Social-Media-Trends fördern unbewusst restriktive Essmuster [8]. Der Social-Media-Hype ist also ein treibender Verursacher [7].
Deshalb ist ein kritischer und entscheidender Punkt, dass LEA oft unbewusst gefördert wird, gerade durch gängige Social-Media-Trends, die restriktive Ernährungsweisen oder extrem kalorienarme „Diäten“ als Lösung vermarkten [8].
Eine Untersuchung von Vardardottir et al. (2024) zeigt, dass ein Kohlenhydrat-Intake unter 5 g/kg Körpergewicht das Risiko für LEA signifikant erhöhen kann [9]. Hier erkennen wir also schon das Risiko einer propagierten No-Carb-Ernährung!
Fitnesstreibende sowie Athleten, die sich durch Health-Influencer beeinflussen lassen, neigen häufiger zu unzureichender Aufnahme an Energie [5]. (Kuikman et al., 2022)
Viele Athleten orientieren sich also auch an externen Vorbildern, ohne ihre individuellen physiologischen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Mentale Faktoren wie Wettkampfdruck und Stress können ebenfalls dazu führen, dass Mahlzeiten ausgelassen oder die Nahrungsaufnahme zusätzlich unzureichend gesteuert wird [4].
Folgen von LEA – Systemische Folgen: Viel mehr als nur ein Defizit an Kalorien
Ein chronisches Energiedefizit zwingt den Körper, Prioritäten zu setzen, was Stoffwechsel, Hormonhaushalt, Immunsystem und Knochengesundheit beeinträchtigt. Low Energy Availability bedeutet nicht einfach nur „zu wenig Energie Influx“ – es ist mehr als nur ein systemischer Mangelzustand von Energie, der verschiedene Ebenen in den verschiedenen Abläufen und Prozessen des Körpers betrifft [6].
Hormonelle Anpassungen
Hormonelle Störungen sind eine häufige Folge von LEA. Frauen entwickeln häufig Zyklusstörungen bis hin zur Amenorrhoe [6], während Männer einen Rückgang des freien Testosteronspiegels erleben, was Muskelkraft und Erholung beeinträchtigt [3]. Gleichzeitig führt eine gedrosselte Schilddrüsenhormonproduktion zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels, verringerter Körperwärmeproduktion und erschwerter Regeneration [6].
Knochengesundheit
LEA schwächt die Knochengesundheit, da der Körper in einem Energiemangel die Knochensubstanz abbaut, anstatt sie zu erneuern. Dies erhöht das Risiko für Stressfrakturen [2]. Eine verringerte Knochendichte steigert die Fragilität und das Risiko für Knochenbrüche, insbesondere bei langanhaltendem LEA [6].
Immunsystem & Metabolismus
LEA bewirkt eine Immunsuppression, wodurch Infekte häufiger auftreten und Verletzungen langsamer heilen [4]. Der Energiestoffwechsel ist beeinträchtigt, was zu reduzierter Leistungsfähigkeit und verzögerter Muskelregeneration führt [7]. Selbst nach Wiederherstellung der Energiezufuhr kann es dauern, bis der Körper sich vollständig erholt [4].
Prävention und Management von LEA
Die Vorbeugung der Low Energy Availability beginnt mit einer realistischen Einschätzung des individuellen Energiebedarfs oder optimalerweise über eine Ruhe- sowie Leistungsspirometrie [8]. Dynamische Anpassungen der Kalorienzufuhr an das Trainingsvolumen sind essenziell, um ein Defizit zu vermeiden [2].
Eine zentrale Rolle nehmen ebenfalls Kohlenhydrate in der hormonellen Regulation und muskulären Regeneration ein. Eine unzureichende Versorgung führt zu Leistungseinbußen und kann dabei langfristig gesundheitliche Schäden verursachen [9]. Insbesondere in intensiven Trainingsphasen stellt eine strukturierte und deckende Energiezufuhr sicher, dass der Körper nicht in eine Unterversorgungssituation gerät [9].
Frühe Anzeichen wie Erschöpfung, langsamere Erholung oder hormonelle Veränderungen sollten ernst genommen werden [3]. Ernährungsprotokolle und regelmäßige Kontrollen metabolischer Marker helfen, ein sich entwickelndes Energiedefizit frühzeitig zu identifizieren [5].
Auch der psychologische Aspekt spielt eine Rolle: Soziale Medien und gesellschaftlicher Druck oder gestörte Selbstwahrnehmung können restriktive Essmuster begünstigen [8]. Eine kritische Auseinandersetzung mit Ernährungstrends und fundierte wissenschaftliche Konzepte sind essenziell [7]. In Fällen von anhaltendem Energiemangel oder bereits auftretenden Symptomen ist die multidimensionale Zusammenarbeit mit Experten aus Training, Sportmedizin, Ernährung und Psychologie mehr als angeraten [6].
Fazit
LEA ist für viele nicht nur ein unbekanntes Phänomen, sondern auch ein ernstzunehmendes Problem im Training & Wettkampf, welches auf lange Sicht drastische Folgen für die Gesundheit und Leistungserbringung haben kann. Besonders in Zeiten von Social-Media-Trends und radikalen Ernährungsformen ist es maßgebend, zwischen evidenzbasierten Informationen und gesicherten Strategien, von gefährlichen Mythen und Falschinformationen und ungefilterten Inhalten trennen zu können. Um eine maximale Performance bei mehr Gesundheitsspanne in seinen Hochphasen zu erreichen, ist eine bedarfsgerechte Energiezufuhr unabdingbar. Wer frühzeitig auf die körpereigenen Warnsignale achtet und dabei eine intelligente Ernährungsstrategie verfolgt, kann Lea vermeiden und sein sportliches Wachstum und Potenzial wirklich ausschöpfen. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass Energie keine variable oder fixe Größe ist, die einfach gekürzt werden kann, denn sie ist der Schlüssel zu mehr Fortschritt in der Anpassung. Wer diese Erkenntnis ignoriert, zahlt später einen hohen Preis im Training und Leben auf Kosten der eigenen Gesundheit.
Über den Autor
Daniel Schoon ist seit 15 Jahren als Fitness- und Gesundheitsexperte tätig. Als Fitnessstudioleiter, Autor und Podcasthost vereint seine Arbeit evidenzbasierte Ansätze zur Prävention und Förderung von Gesundheit.
Validität der Daten
Die Zahlen basieren auf verschiedensten Messmethodiken. Meta-Analysen liefern zwar eine breite Datenbasis, dennoch können methodische Unterschiede die Ergebnisse beeinflussen. Trotz möglicher Schwankungen zeigen die Daten eine gute Tendenz und unterstreichen die Relevanz von LEA als Risiko für die Gesundheit.
Literaturverzeichnis
- Dervish, R. A., Wilson, L. J., & Curtis, C. (2022). Investigating the prevalence of low energy availability, disordered eating and eating disorders in competitive and recreational female endurance runners. European Journal of Sport Science, 23(5), 869–876. https://doi.org/10.1080/17461391.2022.2079423
- Gallant, T. L., et al. (2024). Low Energy Availability and Relative Energy Deficiency in Sport: A Systematic Review and Meta-analysis. Sports Medicine. https://doi.org/10.1007/s40279-024-01954-8
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- Kuikman, M. A., et al. (2022). Markers of Low Energy Availability in Overreached Athletes: A Systematic Review and Meta-analysis. Sports Medicine. https://doi.org/10.1007/s40279-022-01723-4
- Mountjoy, M., Ackerman, K. E., Bailey, D. M., Burke, L. M., Constantini, N., Hackney, A. C., Heikura, I. A., Melin, A., Pensgaard, A. M., Stellingwerff, T., Sundgot‐Borgen, J., Torstveit, M. K., Jacobsen, A. A., Verhagen, E., Budgett, R., Engebretsen, L., & Erdener, U. (2023). 2023 International Olympic Committee’s (IOC) consensus statement on Relative Energy Deficiency in Sport (REDs). British Journal of Sports Medicine, 57(17), 1073–1098. https://doi.org/10.1136/bjsports-2023-106994
- Nolte, J., Kirmse, M., de Marées, M., & Platen, P. (2025). Effects of short-term low energy availability on metabolism and performance-related parameters in physically active adults. Nutrients, 17(2), https://doi.org/10.3390/nu17020278
- Purdom, T., et al. (2023). Low Energy Availability (LEA) and Hypertension in Black Division I Collegiate Athletes: A Novel Pilot Study. Sports, 11(4), https://doi.org/10.3390/sports11040081
- Vardardottir, B., Gudmundsdottir, S. L., Tryggvadottir, E. A., & Olafsdottir, A. S. (2024). Patterns of energy availability and carbohydrate intake differentiate between adaptable and problematic low energy availability in female athletes. Frontiers in Sports and Active Living, 6. https://doi.org/10.3389/fspor.2024.1390558