05601 58091 30
Mo. - Fr. 8.00 - 16.00 Uhr
Onlineberatung
Termin vereinbaren

Warum die Herzfrequenzvariabilität im Sport wichtig ist?

Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Wer regelmäßig Sport treibt, sollte stets über den aktuellen Leistungs- und Gesundheitszustand verlässlich informiert sein. Ein intensives Training bei anklingendem oder bestehendem Infekt verschlechtert den Gesundheitszustand und kann sogar ernsthafte Komplikationen (z.B. Herzmuskelentzündungen) auslösen. Dies gilt vor allem für Aktivitäten mit hoher Herz-Kreislaufbelastung (z.B. Laufen, Handball, Fußball). Sporttreibende, die die Herzfrequenzvariabilität (HRV) im Training regelmäßig messen, berichten von einer verbesserten individuellen Abstimmung der einzelnen Trainingseinheiten. Der Wechsel zwischen Training und Regeneration lässt sich genauer bestimmen. Dies führt zu stetigen Leistungsfortschritten, weil Überforderungen rechtzeitig erkannt und vermieden werden können. Wer im Sport die HRV gezielt einsetzen möchte, benötigt Grundkenntnisse zur Physiologie und zu den typischen Parametern der HRV. 

Grundkenntnisse zur HRV

Die Herzfrequenzvariabilität (HRV, heart rate variability) charakterisiert die Veränderung (Variation) der Dauer aufeinanderfolgender Herzschläge und ist eine Messgröße der neurovegetativen Aktivität und autonomen Funktion des Herzens. Während die Herzfrequenz (HF) vor allem Auskunft über die Quantität (Intensität) der Herz-Kreislauf-Beanspruchung gibt, informiert die HRV zusätzlich über die Qualität der Herz-Kreislauf-Regulation und deren beeinflussende Größen.

Grafik 1: Beispielhafte Ruhe-EKG-Messung mit „normaler“ Variation der Herzperiodendauer (RR-Intervall).

Bei einem gesunden Menschen schlägt das Herz nicht mit einer starren Frequenz, d.h. bei einem Ruhepuls von bsplw. 60 Herzschlägen in der Minute erfolgt nicht jeder Schlag nach exakt einer Sekunde bzw. 1000 Millisekunden. Schwankungen von 30 bis 100 Millisekunden in der Herzschlagfolge treten als natürliche Arbeitsweise des Herzens auf. In der Grafik 1 wird eine typische Herzschlagfolge anhand des Ruhe-EKGs aufgezeigt. Ursächlich für diese Schwankungen sind die unterschiedlichen Einflüsse von Parasympathikus und Sympathikus auf den Sinusknoten des Herzens. Das Herz reagiert laufend auf Signale des Organismus und der Umwelt mit fein abgestimmten Veränderungen (Variationen) der Herzperiodendauer. Diese Anpassungsfähigkeit des Herzens basiert auf einem optimalen Zusammenspiel des sympatischen und parasympatischen Nervensystems. Die hochfrequenten Impulse des Parasympathikus wirken hemmend und führen zu einer sehr schnellen Absenkung der Herzfrequenz. Die niederfrequenten Impulse des Sympathikus bewirken eine Steigerung der Herzfrequenz; jedoch ist die resultierende Änderungsrate der Herzfrequenz geringer als beim hochfrequenten Parasympathikus. In Ruhe ist die Variabilität des Herzschlags bei einem gesunden Menschen am höchsten. Mit Beginn der körperlichen Aktivität verringert sich die HRV und bei intensiver Belastung (schnelles Laufen) schlägt das Herz nicht nur schneller, sondern auch sehr gleichmäßig, d. h. die Dauer von Herzschlag zu Herzschlag variiert nicht. Das Herz schlägt gewissermaßen im Gleichschlag, das heißt, es ist kaum noch eine Variabilität im Herzschlagrhythmus vorhanden. Dies ist unter Belastung aber normal. In Ruhe hingegen sollte eine hohe Variabilität des Herzschlages vorhanden sein.

„Wenn der Herzschlag so regelmäßig wie das Klopfen des Spechts oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Patient innerhalb von vier Tagen sterben.“

WANG SHUHE (3. Jahrhundert n. Ch.)

Einflüsse auf die HRV

Mit verschiedenen Parametern der Herzfrequenzvariabilität lassen sich stress- und entspannungsbezogene Einflüsse auf unseren Organismus diagnostizieren. Hoher Stress (z.B. beruflicher Dauerstress), gesundheitliche Beeinträchtigungen (z.B. grippale Infekte, Corona) oder wiederholt hohe intensive Trainings- bzw. Wettbelastungen führen zur Einschränkung der HRV. Dies äußert sich in einer sympatho-vagalen Dysbalance. Bei Wohlbefinden, guter Entspannungsfähigkeit sowie nach einem moderaten Ausdauer- und Krafttraining über mehrere Wochen steigt die HRV an. Eine sympatho-vagalen Balance mit normaler oder auch erhöhter HRV stellt sich ein (Grafik 2).

Grafik 2: Eingeschränkte HRV bei sympatho-vagaler Dysbalance und „normale“ HRV bei sympatho-vagaler Balance

Faktoren, die zu einer Einschränkung der HRV führen können:

  • Grippale Infekte, gesundheitliche Beeinträchtigungen
  • Psychischer, mentaler Stress
  • Wiederholt hochintensives Training ohne hinreichende Erholungsphasen
  • Lange Wettkampfserie ohne kompensatorisches Training
  • Reisestress und Zeitumstellungen
  • Schlafmangel

Faktoren, die zu einer Erhöhung der HRV führen können:

  • Aerobes Ausdauertraining
  • Regenerationsfördernde Maßnahmen (z.B. Sauna, Massage)
  • Entspannungsübungen (z.B. Yoga, Meditation)
  • Ausgeglichenheit, Zufriedenheit
  • Gutes Wohlbefinden

In der Variabilität der Herzschlagfolge zeigt sich die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus an exogene und endogeneEinflüsse. Das Herz reagiert fortwährend auf innere Signale des Organismus und auf äußere Anforderungen aus der Umwelt mit fein abgestimmten Veränderungen (Variationen) aufeinanderfolgender Herzperioden. Jeder Mensch hat eine individuelle Ausprägung der Herzfrequenzvariabilität, die von Alter, Geschlecht und genetischen Anlagen bestimmt wird. Kinder haben eine größere Variabilität als Erwachsene und ältere Menschen. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Variabilität ab.

Parameter der HRV

Für die genauere Charakterisierung der HRV gibt es eine Vielzahl an mathematisch ermittelten Parametern und Analyseverfahren. Auch wenn wir umgangssprachlich von „der HRV“ sprechen, so steht dahinter immer ein ganz spezieller Parameter. An dieser Stelle werden nur zwei einfach zu berechnene und viel verwendete Zeitbereichsparameter der HRV

SDNN: berechnet wird die Standardabweichung aus dem Sinusrhythmus der Herzschläge.

RMSSD (Root Mean Square of Successive Differences): berechnet wird die Wurzel aus den quadrierten Differenzen aufeinanderfolgender Herzschläge. RMSSD gibt Auskunft über kurzfristige Veränderungen der RR-Intervalle.

Der SDNN-Wert repräsentiert die Gesamtvariabilität während der RMSSD-Wert vor allem die schnelle Änderung von Herzschlag zu Herzschlag charakterisiert, die durch die Ausschüttung des Transmitters Acetycholin des Nervus Vagus resultiert. Es ist der X. Hirnnerv und zugleich größte Nerv des Parasympathikus, der an der autonomen Regulation fast aller inneren Organe beteiligt ist. Er wird auch als Entspannungsnerv bezeichnet, weil in der Ruhe- und Erholungsphase die parasympathische (vagale) Aktivität dominiert. Demzufolge werden hohe RMSSD-Werten umgangssprachlich mit einer hohen HRV gleichgesetzt.

Die Höhe des RMSSD-Wertes ist individuell unterschiedlich. Trainierte Sportler haben in der Regel höhere RMSSD-Werte als Untrainierte. Bei Ausdauerleistungssportlern konnte ich Werte von über 200 ms ermitteln, in Ausnahmefälle aber auch nur Werte um 50ms. Auch wenn es interindividuell kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem RMMSD-Wert und der sportlichen Leistungsfähigkeit besteht, so nimmt der RMSSD-Wert individuell bei verbesserter Ausdauerleistungsfähigkeit und gutem Gesundheitszustand zu. Somit kann jeder die Wirkung eines Ausdauer- oder auch moderaten Krafttrainings am Anstieg des RMSSD-Wertes erkannt werden.

Mit der HRV das Training individualisieren

Sportler, die die Herzfrequenzvariabilität im Training regelmäßig analysieren, berichten von einer verbesserten individuellen Abstimmung der einzelnen Trainingseinheiten. Der Wechsel zwischen Training und Regeneration lässt sich genauer bestimmen. Dies führt zu stetigen Leistungsfortschritten, weil Überforderungen rechtzeitig erkannt und vermieden werden können. Bereits eine kurze hochintensive Trainingseinheit führt zur Einschränkung der HRV in der Erholungsphase. In Grafik 3 wird dieser Zusammenhang verdeutlicht. Die Sportlerin hat vor der 5 min maximalen Belastung einen niedrigen Ruhepuls und einen RMSSD-Wert von 70 ms. Dieser sinkt während der Maximalbelastung auf 5 ms und erhöht sich in der anschließenden Erholungsphase auf 15 ms. Der Ausgangszustand wieder meist erst nach mehreren Stunden Erholung erreicht.

Grafik 3: Verlauf der Herzfrequenz und RMSSD-Werte vor und nach einer 5 minütigen intensiven Laufbelastung.

Für eine Individualisierung der Trainingssteuerung empfiehlt es sich im ersten Schritt, über mehrere Tage, die RMSSD-Werte bei weitgehend regenerativen Trainingsbelastungen, durch morgendliche Ruhemessungen zu bestimmen. Nach dieser sogenannten individuellen Baseline-Bestimmung kann im zweiten Schritt das geplante Trainingsprogramm starten. Entscheidend für den Trainingsfortschritt sind begründete Abweichungen vom erstellten Trainingsplan auf der Basis der RMSSD-Veränderungen. Belastungskorrekturen sollten erst aus einem mehrtägigen Trend oder einem 7-Tage-Durchschnittswert erfolgen. Bei starker Abnahme der RMSSD-Werte (Vagusdepression) bei der morgendlichen Liegendmessung sollte das Training reduziert werden und bei einer deutlichen Erhöhung der liegend RMSSD-Werte über den Baseline-Bereich kann das Training intensiviert werden (Grafik 4). Vielfach ist es nicht möglich, eine umfassende Baseline-Bestimmung, beispielweise vor einem Trainingslager, durchzuführen. Eine gute Alternative ist dann die Orientierung an den Durchschnittswerten von mehreren Trainingstagen.

Grafik 4: Möglicher Verlauf der täglichen Herzfrequenzvariabilität (HRV) im Trainingsprozess anhand des vagalen HRV-Parameters RMSSD mit der Bestimmung einer Baseline in den ersten 7-10 Tagen bei regenerativem bzw. moderatem Training.

Geeignete Messgeräte für ein HRV-individualisiertes Training

Entscheidend für die Auswahl der Herzfrequenz-Trainingscomputer und Analysesysteme sind Anwenderfreundlichkeit, die grafische Darstellung der Herzfrequenz- oder EKG-Messung, die unmittelbare und nachvollziehbare Datenanalyse und eine fundierte Ableitung zum Trainingszustand (z.B. erholt, ermüdet, aufbauend, abbauend). Liegen umfassende eigene Erfahrungen vor, kann auf eine automatisierte Auswertung verzichtet werden.

Viele Messsysteme basieren heutzutage auf der Pulswellenvariabilität. Dabei wird der Puls über Lichtsensoren am Handgelenk erfasst. Entsprechend der Pulswelle verändert sich eine messbare Lichtdurchlässigkeit der Kapillaren. Die Genauigkeit bei der Bestimmung der Zeitdauer von Pulschlag zu Pulsschlag ist dabei deutlich geringer als bei der Bestimmung der RR-Abstände von Herzschlag zu Herzschlag mit einem Brustgurt. Die Genauigkeit der Messung der Pulswelle kann auch durch Bewegung stark beeinflusst werden. Hersteller von Pulsuhren versuchen die Bewegungsartefakte durch integrierte Aktivitätssensoren zu bereinigen. Mit dem Brustgurt von Polar konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass das RR-Intervall auf 1 ms genau bestimmt wird, d.h. meist präziser als mit einem EKG. Die valide Messung ist Grundvoraussetzung für die Steuerung des Trainings im Spitzensport. Die Pulswellenvariabilität kann unterstützend eingesetzt werden, insbesondere um längerfristige Veränderungen durch ein Fitness- oder Leistungstraining zu verfolgen, und um die Wirkung von atemmodulierten Entspannungsübungen zu erkennen (z.B. Serene von Polar) oder um die Schlafqualität zu analysieren. Zu empfehlen ist ein Messgerät zu kaufen, welches die Pulsfrequenz über Lichtsensoren und die Herzfrequenz über einen Brustgurt bestimmen kann.

Autor:

Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Direktor für Wissenschaft und Lehre

Deutsche Berufsakademie Sport und Gesundheit

Email: kuno.hottenrott@dba-baunatal.de