05601 58091 30
Mo. - Fr. 8.00 - 16.00 Uhr
Onlineberatung
Termin vereinbaren

Den Sport neu (er)finden: Training und Bewegung nach dem „Karriereende“

Dr. Sabine Nunius

Wie Freude und Motivation auch nach Ende der Leistungssport- und Wettkampfzeit erhalten bleiben

Das „Karriereende“: Ein Zeitpunkt, über den wohl kein Sportler gerne nachdenkt. Dennoch werden wir früher oder später alle damit konfrontiert, dass der Punkt gekommen ist, an dem die aktive Wettkampfzeit endet. Die Gründe hierfür fallen ganz unterschiedlich aus, angefangen von physischen Beschwerden bis hin zu Zeitmangel oder der fehlenden Motivation, stets selbstdiszipliniert zu sein, sich immer wieder von Neuem zu „quälen“ und einen erheblichen Teil der Freizeit an Trainings- und Wettkampfplänen auszurichten. Die Ursachen mögen verschieden sein, das Ergebnis ist aber stets das gleiche: Wir müssen uns von alten Gewohnheiten verabschieden und im Anschluss auf Dinge verzichten, die uns grundsätzlich fehlen werden. Besonders hart ist diese Erfahrung, wenn uns die Entscheidung von außen auferlegt wird, etwa dann, wenn wir bestimmte Normen oder Werte nicht mehr erreichen und deshalb aus einem Kader oder einer Mannschaft ausscheiden müssen. Ebenso kann eine schwere Verletzung oder ein Unfall einer Sportlerkarriere ein jähes Ende bereiten. Derartige Erlebnisse stellen einen bedeutenden Einschnitt dar. Die Erkenntnis, dass plötzlich ein (Lebens-)Abschnitt vorbei ist, trifft überraschend viele Sportler sehr hart. Diese Beobachtung ist keineswegs auf Profi- und Spitzensportler beschränkt. Bei ihnen hat das Karriereende sicherlich noch gravierendere Folgen und ist beispielsweise zusätzlich mit ökonomischen bzw. finanziellen Konsequenzen verbunden. Doch auch passionierte (Hobby-)Läufer, Triathleten, Kraftsportler, Ballsportler,… beschäftigt das sportliche Aus oft mehr, als Außenstehende oder Nicht-Sportler vermuten.

Woran liegt das? Ein Aspekt, der sicherlich eine Rolle spielt, ist die Konfrontation mit der Abnahme der eigenen Leistungsfähigkeit und damit letztendlich der Frage des Alterns. Selbstverständlich lässt sich einwenden, dass Wettkämpfe grundsätzlich bis ins hohe Alter möglich sind. Zweifellos gibt es einzelne Ausnahmephänomene von Sportlern, die selbst in den Altersklassen Ü80+ beeindruckende Leistungen erbringen. Allerdings sind das eindeutig die Ausnahmen anstatt die Regel. Der Großteil der aktiven Spitzenathletinnen und -athleten ist mit spätestens Mitte 40 gezwungen, sich aus dem hochintensiven Sport sowie den entsprechenden Ligen und Wettkämpfen zu verabschieden.

Prof. Dr. med. Georg Neumann bringt diese Tatsache lakonisch aber treffend auf den Punkt: „Bis Mitte, manchmal Ende 30 werden Rekorde erbracht. Danach ist man als Sportler ´alt´. Ab 40 Jahren beginnt bei jedem Menschen dann ein Muskelschwund (Sarkopenie) von durchschnittlich ein bis zwei Prozent pro Jahr. Frauen sind im Leistungssport ein Leben lang durchschnittlich 10 Prozent weniger leistungsfähig als Männer. Im Alter wird dieser Unterschied noch größer.“[1]

Das professionelle Karriereende und die Konfrontation mit dem „Alter“ findet im Sport somit deutlich früher statt als in den meisten anderen Berufen. Im Leistungssport sind die Grenzen besonders eng gesteckt. Je nach Disziplin können Sportler bereits Anfang oder Mitte 30 zu alt sein, um noch zur Spitze zu gehören. Von daher stellt sich die Frage nach dem „Danach“ für viele Sportler weitaus früher als für Menschen in anderen Berufen oder mit anderen Hobbys.

Den richtigen Zeitpunkt für den Abschied finden

Wer den Spitzensport zumindest als Zuschauer kennt, ist mit dem Problem vertraut: dem richtigen Zeitpunkt zum Aufhören. Meistens rückt diese Frage dann besonders stark in den Fokus, wenn genau dieser Zeitpunkt offensichtlich verpasst wurde und ein ehemals exzellenter Sportler zum Schluss regelmäßig nur noch auf den hinteren Plätzen rangiert. Bei ambitionierten Hobbysportlern spielen Platzierungen meist eine geringere Rolle. Bei ihnen geht allerdings der Spaß zunehmend verloren, wenn der Abstand zur Spitze immer größer wird oder sogar das ein oder andere „DNF“ (did not finish) eintritt. Je nach Intensität der ausgeübten Wettkampfform kommen gegebenenfalls Sorgen um die eigene Gesundheit hinzu und es werden Überlegungen angestellt, wie lange der eigene Körper derartigen Belastungen noch standhalten kann.

Wann genau ist also der optimale Zeitpunkt zum Aufhören gekommen und wie erkennt man ihn? Gleich vorneweg: Der eine, eindeutige, optimale Zeitpunkt existiert nicht. Ein gewisses Mit-sich-selbst-Hadern und Hin-und-Her-Überlegen ist Teil des Prozesses. Zumindest in der Theorie gibt es für den Ausstiegszeitpunkt jedoch grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, auf dem Höhepunkt der Karriere, also dem Zenit der Leistungsfähigkeit, aufzuhören. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine persönliche Bestleistung erreicht, eine (selbstgesetzte) magische Grenze geknackt oder ein großer Titel gewonnen wurde. Dieser Ausstiegszeitpunkt hat den Vorteil, dass der „Ruhm“ bestehen bleibt. Die letzte Erinnerung aus Zuschauer- wie aus Sportlersicht ist die an den größten Erfolg. Allerdings bleibt auf diesem Weg die Frage offen, ob nicht noch mehr „gegangen wäre“ und somit Chancen verschenkt wurden. Option Nummer 2 besteht folglich darin, die Zeit bis zuletzt auszureizen und so sicher zu gehen, dass wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Diese Variante birgt jedoch die Gefahr, dass das Vorhaben scheitert und die letzten Wettkämpfe unter „ferner liefen“ absolviert werden. Jede der beiden Optionen ist damit mit Vor- und Nachteilen behaftet. Hier muss jeder und jede den eigenen Weg finden.

Den Übergang planen – alternative Freizeitaktivitäten finden

Ist die Entscheidung für den Ausstieg gefallen, lohnt es sich, den Übergang im Vorfeld zu planen. Das gilt für Leistungs- wie für ambitionierte Hobbysportler. Sicherlich ist der Einschnitt beim Ausstieg aus einer professionellen Laufbahn noch einmal deutlich drastischer. Hier kommen zusätzliche Herausforderungen wie die Notwendigkeit eines konsequenten Abtrainierens hinzu oder es muss der komplette Alltag neu strukturiert werden. In abgeschwächter Form lassen sich die beschriebenen Phänomene jedoch auch im Amateursport beobachten. Die nachfolgenden Aspekte sollten deshalb in die eigenen Überlegungen einbezogen werden. Sie helfen, den Übergang zu meistern, ohne in ein gefühltes „Loch“ zu fallen:

  • Verlust eines (erheblichen) Teils des sozialen Umfelds. Ehrgeizige und leistungsorientierte Sportlerinnen und Sportler verbringen einen Großteil ihrer freien Zeit beim Training und auf Wettkämpfen. Dies gilt nicht zuletzt für Disziplinen mit zeitintensiven Trainingseinheiten und langen Wettkampftagen. Diese umfassen oft erhebliche Anfahrtswege oder die Notwendigkeit einer Übernachtung. In solchen Fällen bedeutet der Rückzug aus dem aktiven Wettkampfgeschehen, dass sich die Freizeitgestaltung sehr stark verändert. Fallen die gemeinsamen Trainings- und Wettkampftermine weg, fehlen gleichzeitig die damit verbundenen Kontakte. Ein ähnliches „Vakuum“ entsteht, wenn unter Teamkollegen ein guter Zusammenhalt herrscht und beispielsweise regelmäßige Treffen oder eine gemeinsame Freizeitgestaltung stattfinden. Selbst wenn die Einladung besteht, weiterhin an den sozialen Aktivitäten teilzunehmen, fühlen sich die Nicht-Aktiven vielfach von den Gesprächen ausgeschlossen und nehmen immer seltener teil, auch um nicht beständig damit konfrontiert zu werden, dass diese Zeit für sie vorüber ist.
  • Unzufriedenheit über den eigenen physischen Zustand und die mangelnde Fitness. Egal ob eine Verletzung das Karriereende herbeiführt oder schlichtweg das frühere Leistungslevel nicht mehr aufrechterhalten werden kann: Oft ist es für die Betroffenen hart zu akzeptieren, dass bestimmte Leistungen für sie nicht mehr möglich sind und es nie wieder sein werden. Fällt diese Zeit mit einer Phase des beruflichen oder privaten Umbruchs zusammen, stellen sich leicht allgemeine Selbstzweifel, ein Hadern mit dem Schicksal und das Gefühl ein, „wertlos“ zu sein oder auf dem Abstellgleis zu landen. Hinzu kommen mitunter deutlich sichtbare „Nebenwirkungen“: Durch das wegfallende Training setzt naturgemäß ein Muskel- und Konditionsverlust ein. Wird trotz des geringeren Kalorienbedarfs weiterhin wie gewohnt gegessen – egal, ob aus Gewohnheit, Langeweile oder Frust – kann schnell ein körperlicher Zustand erreicht sein, der die eigene Unzufriedenheit weiter steigert.
  • Enttäuschte Hoffnung auf einen letzten Erfolg oder Titelgewinn. Auch bei diesem Punkt handelt es sich um eine Erfahrung, die viele Sportlerinnen und Sportler während ihrer aktiven Laufbahn machen: Ein persönlicher Rekord wurde eingestellt, ein Titel erfolgreich verteidigt oder eine „magische Grenze“ geknackt. Nun ist der Reiz groß, das Ganze noch einmal zu wiederholen oder sogar zu toppen. Misslingen diese Versuche wiederholt und zeichnet sich ab, dass die Zeit der für den Spitzenbereich ausreichenden physischen Leistungsfähigkeit knapp wird, kann ein solches Ziel zur fixen Idee werden, die verbissen verfolgt wird. Scheitert das Vorhaben letztendlich ganz, muss sich der Sportler eingestehen, dass aller Trainingsaufwand umsonst war. Diese Erfahrung hinterlässt oft einen schalen Nachgeschmack und ein Gefühl des „Versagens“.
  • Identitätskrisen. Zugegeben: Das Wort Identitätskrise klingt in diesem Zusammenhang hochgegriffen, vielleicht sogar übertrieben, und betrifft glücklicherweise einen eher geringen Teil der Sportler. Dennoch erlebe ich immer wieder, dass vor allem Leistungssportler nach Aufgabe der aktiven Laufbahn damit kämpfen, in ihren eigenen Augen keine „echten Sportler“ mehr zu sein. Insbesondere dann, wenn das Selbstbild zuvor sehr stark von der eigenen Körperlichkeit geprägt war, müssen hier erst Alternativen gefunden werden.

Was lässt sich also tun, um nach dem Ende der aktiven Laufbahn die Freude am Sport und an der Bewegung zu bewahren? Die nachfolgenden Punkte möchten Inspirationen und Anhaltspunkte geben, wie sich das Ende der aktiven Zeit so gestalten lässt, dass es zum Beginn einer neuen, „anderen“, aber ebenfalls erfüllenden Phase wird.

Die freie Zeit (anders) nutzen

So absurd es für weniger aktive Sportlerinnen und Sportler klingen mag: Eine häufige Herausforderung nach dem Ausstieg aus dem Leistungs- oder ambitionierten Hobbysport besteht darin, die eigene Zeit neu zu organisieren und sinnvoll bzw. zufriedenstellend zu füllen. Aus meinem eigenen Umfeld kenne ich selbst im Amateurbereich Athleten mit regelmäßigen Trainingsumfängen von 20 bis 25 Stunden pro Woche – wohlgemerkt neben einem Vollzeit-Job. Diese Doppelbelastung hat notwendigerweise zur Folge, dass jeder Tag engmaschig durchgetaktet ist. Der Slogan „eat – train – sleep – repeat“ kommt nicht von ungefähr! Das Training (sprich die „Freizeit“) nimmt bei einem derartigen Pensum nahezu die komplette Zeit in Anspruch, die neben Arbeit, Essen, Schlaf und Hausarbeit bleibt. Fällt dieser „Posten“ plötzlich weg, entsteht für viele eine Art Vakuum. Dieses auszufüllen ist umso schwieriger, wenn andere, nicht-sportliche Freizeitaktivitäten, zuvor zugunsten des Trainings vernachlässigt oder ganz aufgegeben wurden. Die Alternativmöglichkeiten für Freizeitbeschäftigungen, die ebenfalls Spaß machen, sind dann rar gesät. Hier ist rechtzeitig zu überlegen, was man selbst, in- und außerhalb des Sports, künftig gerne tun würde und welche Gelegenheiten sich dazu vor Ort bzw. im eigenen Umfeld bieten.

Das soziale Umfeld erweitern

Hinzu kommt, dass sich während der sportlich aktiven Zeit die Frage nach der Gestaltung des sozialen Umfelds mehr oder weniger erübrigt. Die Freizeit wird ohnehin größtenteils in der Turnhalle, im Studio oder auf dem Sportplatz verbracht. Sie findet damit zwangsläufig in Gesellschaft derer statt, die ebenfalls vor Ort sind. Nicht selten entsteht auf Grundlage dieses gemeinsamen Interesses ein eigener Freundeskreis. Dies liegt in Teamsportarten besonders nahe, doch auch in Individualsportarten bilden sich über die Zeit Trainingsgemeinschaften oder feste Grüppchen, die sich regelmäßig austauschen oder gemeinsam zu Wettkämpfen fahren.

Meist ist das Ende der aktiven Karriere daher notwendigerweise mit dem Aufbau eines neuen Umfelds oder dem Reaktivieren alter Kontakte außerhalb des Sports verbunden. Damit kann schon begonnen werden, sobald sich abzeichnet, dass der Sport fortan eine geringere Rolle im Leben spielen wird! Ebenso lohnt es sich, aktiv neue Kreise zu erschließen und die Kontaktmöglichkeiten zu nutzen, die sich beispielsweise über den Beruf, neue Hobbys oder Ehrenämter oder den bisherigen Sportalltag ergeben.

Bedacht werden sollte darüber hinaus, dass der Rückzug aus dem aktiven Athletendasein teilweise eine Neustrukturierung innerhalb der Familie erfordert. Ist ein Partner sportlich sehr aktiv, funktioniert dies in der Regel nur, wenn im Gegenzug der andere Partner einen größeren Teil der sogenannten „Care Arbeit“ übernimmt, sich also beispielsweise verstärkt um Kinder, Haushalt und allgemeine Organisation kümmert. Fällt die Begründung „ich habe ja Wettkampf“ oder „ich muss trainieren“ weg, ist es oft notwendig, die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie neu zu regeln und dabei unter Umständen den ein oder anderen Konflikt zu lösen.

Freude an neuen Aktivitäten finden

Sich an die neue Situation gewöhnen: Das gilt auch im Hinblick auf neue Aktivitäten. Die Schwierigkeit besteht vielfach darin, etwas zu finden, für das man in gleichem Maße brennt wie zuvor für den Sport. Gerade wenn man in „seinem“ Sport regelrecht aufgegangen ist, fällt es schwer, einen adäquaten Ersatz zu finden. Das gilt vor allem dann, wenn die Ausübung der alten Sportart nicht mehr möglich ist, etwa aus gesundheitlichen Gründen, und so ein gewisser Frust mitschwingt.

In solchen Phasen eine Alternative aufzubauen, wird bereits durch die emotionale Komponente erschwert. Die Enttäuschung über das, was nicht mehr möglich ist, kann den Eindruck entstehen lassen, dass sich nie wieder etwas finden lassen wird, das im gleichen Maße Vergnügen und Zufriedenheit bereitet wie zuvor der Sport. Hinzu kommen die Selbstwahrnehmung und das eigene Erleben in der jeweiligen Aktivität. Passionierte Sportler kennen dieses Phänomen sicherlich aus eigener Erfahrung! Werden Sportarten über lange Zeit mit hohem Engagement und großem Zeiteinsatz ausgeführt, stellt sich über die Jahre ein beträchtliches Maß an Expertise und Können ein. Diese beiden Faktoren stellen zwei der wesentlichen Bedingungen für Flowerfahrungen[2] dar.

Das Erleben von Flow ist ohnehin einer der Gründe, warum Sport eine fast addiktive Qualität haben kann. Viele Sportler erleben Flowzustände vorrangig oder quasi ausschließlich in ihrer Disziplin. Im restlichen Leben bieten sich ihnen kaum solche Gelegenheiten. Kein Wunder also, dass wir mitunter auch emotional so stark an einer Sportart hängen! Hinzu kommt, dass Flow wie oben erwähnt den Erwerb von Fähigkeiten auf einem hohen Niveau voraussetzt. Schon aufgrund der zeitlichen Anforderungen ist es schwierig, diese Voraussetzungen auf unterschiedlichen Gebieten zu erfüllen und beispielsweise das gleiche Level an Fähigkeiten und Expertise im Sport wie in der Musik und/oder bildenden Kunst zu entwickeln. Das macht die Suche nach Alternativbeschäftigungen umso herausfordernder. Dennoch: Alternativen sind möglich! Hier lässt sich häufig an Bekanntes anknüpfen. Denn bestimmte Fähigkeiten sind weiterhin vorhanden, auch wenn sie nicht mehr im aktiven Wettkampf Einsatz finden. Eine Option besteht darin, auf eine andere, aber verwandte Sportart oder ein neues Format umzustellen. Ebenso denkbar sind Ausflüge in komplett neue Felder. Denn Qualitäten wie Selbstdisziplin, Regelmäßigkeit und Beharrlichkeit beim Training und Geschick bzw. Fingerfertigkeit sind auch in anderen Bereichen gefragt, wie etwa beim Erlernen eines Instruments. Erstaunlich viele Sportler haben ohnehin ein Faible für Musik sowie ein gewisses Talent. So liest oder sieht man immer wieder, dass im Wettkampfgepäck neben der Sportausrüstung beispielsweise eine Gitarre mitreist. Doch auch andere, exotischere Varianten sind möglich! Olympiateilnehmer Tom Daley wurde etwa bekannt dafür, im Stadion regelmäßig zu stricken oder zu häkeln. Er hat mittlerweile sogar ein Buch mit seinen Lieblingsmustern für Einsteiger („Made with Love“) herausgebracht. Wer sich derartige nicht-sportliche Hobbys und Interessen erhält, kann an diese anknüpfen und hat so die besten Chancen, nach Ende der Sportkarriere weiterhin Flowerlebnisse zu machen, egal ob in benachbarten oder ganz anderen Bereichen!

Trainingsintensität und -dauer umstellen

Geht es um Sport und Training nach dem Ausstieg aus dem aktiven Geschehen, stellt sich darüber hinaus die Frage nach dem „wie viel“. Hier ist zu überlegen, wie viel Zeit man künftig in den Sport investieren möchte, was dem Körper langfristig gut tut und was notwendig ist, um nicht ins andere Extrem zu verfallen und die körperliche Fitness komplett zu vernachlässigen. Dieses richtige Maß zu finden kann für Sportler eine Herausforderung darstellen. Denn sie gehen in der Regel von ganz anderen Standards und Umfängen als „normal“ aus als von dem, was die WHO als Mindestmaß an Bewegung empfiehlt. Die in der entsprechenden WHO-Leitlinie genannten 150 Minuten pro Woche sind bei dem ein oder anderen Athleten überspitzt formuliert fast schon ein regelmäßiges Tagespensum![3] Besonders eklatant wird der Kontrast, wenn man die Zeiten betrachtet, die Spitzensportler regelmäßig für Training, Wettkampf, etc. aufwenden: „Die befragten Athleten verwenden durchschnittlich 31,8 Stunden pro Woche für ihren Spitzensport. Die einzelnen Teilaspekte, die zu einem spitzensportlichen Engagement gehören, nehmen dabei unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. So trainieren die Athleten durchschnittlich 17,9 Stunden pro Woche in ihrer Sportart. 6,2 Stunden pro Woche benötigen die Befragten für die Fahrten zum Training und zu Wettkämpfen.“[4] Bei ambitionierten Hobbysportlern fallen diese Zahlen zwar geringer aus, Gesamtumfänge von ca. 20 Stunden pro Woche sind dennoch gerade im Ausdauersport nicht unbedingt eine Seltenheit. Es gilt daher, sich zunächst einmal an ein „normales“ Bewegungspensum zu gewöhnen. Das bedeutet häufig auch, den ein oder anderen Moment des schlechten Gewissens zu überwinden, wenn gefühlt schon wieder nicht „richtig“ oder ausreichend trainiert wurde.

Sozusagen eine „neue Normalität“ muss mitunter ebenso beim Essen erlernt werden. Wer über Jahre hinweg sehr intensiv Sport betrieben hat, ist teilweise daran gewöhnt, deutlich höhere Kalorienmengen zu sich nehmen als der Durchschnitt – oder hat umgekehrt jahrelang seine Kalorienaufnahme streng reglementiert und beschränkt. Zur Illustration erneut ein Extrembeispiel: Radprofis verbrennen im Schnitt bis zu 1000 kcal pro Stunde. Das bedeutet, dass sie allein während der Fahrt auf einer Etappe der Tour de France 1500 kcal zu sich nehmen.[5] Über den Tag verteilt benötigen sie bis zu 8000 Kalorien, nur um ihr Gewicht zu halten! In diese Sphären dringen nur die wenigsten Hobbysportler vor. Dennoch macht bereits ein täglicher zusätzlicher Kalorienverbrauch von ca. 800 bis 900 Kalorien einen Unterschied. Dabei handelt es sich um eine komplette Mahlzeit! Wird diese ohne Training weiterhin eingenommen, kommt es schnell zu Gewichtszunahmen und damit einhergehend Ärger über den eigenen, sich verschlechternden körperlichen Zustand. Ebenso kann jedoch der umgekehrte Fall eintreten, etwa dann, wenn sich jedes Mal ein schlechtes Gewissen einstellt, dass eine Mahlzeit nicht durch vorhergehendes Training „verdient“ wurde und somit Mahlzeiten wiederholt ausgelassen werden oder ein beständiger Verzicht auf alles Hochkalorische erfolgt. Hier müssen sich die Gewohnheiten oft wieder erst neu einpendeln.

Gleiche Disziplin oder Neustart? Die Frage nach dem „was“

Eng verbunden mit dem „wie viel“ ist die Frage nach dem „was genau“, also der Überlegung, wie die sportlich aktive Zeit künftig gefüllt werden soll. Möchte man die gleiche Sportart weiter betreiben, jedoch auf niedrigerem Niveau und mit geringerer Intensität? Ginge das überhaupt noch, etwa nach einer Verletzung? Strebt man eine Position im Trainingsbereich an? Oder will man ehrenamtlich in einem Verein oder Verband tätig sein?

Gerade wenn die Enttäuschung über die abnehmende Leistungsfähigkeit und die sich zusehends verschlechternden Zeiten, Werte und Ergebnisse groß ist, hilft es, den Fokus zu verändern und die Gelegenheit zu nutzen, um etwas Neues auszuprobieren. Dafür bieten sich beispielsweise Aktivitäten an, die einen grundsätzlich schon lange interessieren, welche zuvor aber nicht möglich waren, sei es aus Zeitmangel oder weil die körperlichen Anforderungen und das damit verbundene Training nicht mit der früheren Hauptsportart kompatibel waren. Ein solcher Ausflug in eine vollkommen andere Disziplin bietet diverse Vorteile:

  • Neustart mit Steigerungspotenzial. Wechselt man in eine komplett andere Sportart, existieren noch keine Bestzeiten oder Spitzenwerte, mit denen man die eigene Leistung (unbewusst) beständig vergleicht und an denen man sich selbst misst. Vielmehr besteht die Chance, in der neuen Sportart schnell besser zu werden und in diesem Bereich wieder Erfolgserlebnisse zu haben.
  • Frische Motivation und Steigerungsmöglichkeiten. Wer viele Jahre in der gleichen Disziplin verbracht und unzählige Wettkämpfe absolviert hat, weiß, dass mitunter irgendwann „die Luft raus“ ist und die frühere Trainingsmotivation fehlt. Eine neue Herausforderung mit neuen Zielen kann diese zurückbringen.
  • Zusätzliche Kontakte. Belegt man einen Kurs oder tritt man einer Trainingsgruppe bei, bietet sich die Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. So lässt sich gleichzeitig das soziale Umfeld erweitern.
  • Bewegung ohne Leistungsdruck. Wer in Disziplinen aktiv war, bei denen sich die Ergebnisse in konkreten Zahlen ausdrücken lassen, weiß, dass bereits das Training sehr stark auf diese Werte fokussiert ist. Abhilfe schaffen – alternativ oder ergänzend – Formate wie Yoga, Tanz und Groupfitness-Kurse. Bei ihnen geht es verstärkt um die Bewegung an sich sowie den Spaß daran, messbare Leistungen treten in den Hintergrund. Für viele Leistungssportler ist das eine völlig neue Erfahrung und willkommene Abwechslung.

Mit Hilfe derartiger Überlegungen und entsprechender gedanklicher Vorbereitung auf die „Zeit danach“ gelingt es leichter, die Freude an der Bewegung aufrecht zu erhalten und weiterhin aktiv zu bleiben. Denn das ist eine Beobachtung, die ich im Laufe meiner beruflichen Laufbahn leider immer wieder gemacht habe: Eine ganze Reihe vormals exzellenter und begeisterter Athleten gibt nach der aktiven Phase den Sport zunächst ganz auf oder reduziert ihn auf ein absolutes Minimum. Gerade wenn man grundsätzlich viel Freude an Bewegung und Training hatte, empfinde ich persönlich solche Entwicklungen als sehr schade. Dies gilt umso mehr, wenn der Eindruck entsteht, dass die Betroffenen mit der neuen Situation unzufrieden sind und den Sport in erster Linie aus Frust darüber aufgegeben haben, dass Training und Wettkampf in der vorherigen Form nicht mehr möglich sind. Ganz klar: Geänderte Prioritäten gehören zu einem neuen Lebensabschnitt dazu und das Training wird ein ganzes Stück weit auf der Prioritätenliste nach hinten rutschen, vielleicht sogar das ein oder andere Mal ausfallen. Das ist normal und oft sogar eine sinnvolle Entscheidung. Mitunter mag es zusätzlich eine Zeit des Abstands brauchen, um sich neu zu sortieren und gedanklich zu lösen – verbunden mit einer echten Auszeit und wenig bis keinem Sport. Nach einer solchen Pause gelingt es oft leichter, sich wieder an die positiven und schönen Erfahrungen zu erinnern, die mit dem Sport verbunden sind und diese erneut aufleben zu lassen. Diese Energie gilt es zu nutzen! So kann aus einem Abschied eine Fortsetzung auf einem anderen Level werden.

Fazit: Neue Wege finden und die Freude an der Bewegung erhalten

Die Beispiele und Überlegungen in diesem Artikel zeigen, mit welchen Hindernissen und Problemen das Ende der aktiven Sportlerkarriere verbunden sein kann, auch wenn das für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar ist. Grundsätzlich lässt sich sicherlich sagen: Es gibt in der Regel weitaus Schlimmeres im Leben, als den eigenen Sport nicht mehr auf dem früheren Niveau ausüben zu können und irgendwann die aktive Laufbahn zu beenden. Dabei handelt es sich um einen Teil des Lebens bzw. den natürlichen Lauf der Dinge.

Dennoch weiß ich, dass der Schritt aus dem „früheren Sportlerleben“ für viele trotzdem nicht leicht ist und das eigene Selbstbild durchaus einen gewissen Knacks erleiden kann. Hier entsteht oft ein Konflikt zwischen dem Verstand und den Emotionen. Objektiv betrachtet wissen die meisten, dass es sich „nur“ um den Wegfall einer geliebten Aktivität und den natürlichen Lauf der Zeit handelt. Die Emotionen, die mit diesen Gedanken einhergehen, folgen jedoch anderen Regeln. Und selbst wenn sie auf den ersten Blick irrational erscheinen – vorhanden sind sie nichtsdestotrotz. Hier hilft es, einen Mittelweg zu suchen. Eine gewisse Melancholie, Enttäuschung und Traurigkeit, vielleicht sogar Frustration und Wut gehören dazu, genauso wie kurze Phasen des Selbstmitleids. Wichtig ist, dass es sich dabei um Phasen, also begrenzte Zeiträume handelt, und es anschließend gelingt, den Fokus wieder auf etwas anderes, neues zu richten. Dabei ergeben sich oft mehr Perspektiven und Optionen als man zunächst vielleicht selbst für möglich gehalten hätte.

Ich wünsche allen, die sich in einer derartigen Situation befinden oder Sportler in dieser Lage betreuen viel Erfolg – und selbstverständlich weiterhin viel Freude an Sport und Bewegung!

Fragen oder Interesse an einem weiteren Austausch? Ich freue mich über alle Nachrichten!

Sabine Nunius | sabine.nunius@sanu-training.com

[1] https://medizin-aspekte.de/sport-im-alter-was-geht-noch-109569/, abgeruf. 10.05.2023

[2] Vgl. dazu: Zeitschrift für Sportpsychologie (2005), 12, pp. 75-82 https://doi.org/10.1026/1612-5010.12.3.75. und Mihaly Csikszentmihalyi. Das Flow-Erlebnis. Klett-Cotta, 2019.

[3] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/118657/WHO-gibt-neue-Aktivitaetsempfehlungen-heraus-fuer-die-Gesundheit-zaehlt-jede-Bewegung, abgeruf. 26.06.2023

[4] Breuer, Christoph & Wicker, Pamela. (2010). Sportökonomische Analyse der Lebenssituation von Spitzensportlern in Deutschland.

[5] https://www.radsport-rennrad.de/training/ernaehrung-im-radsport-das-essen-tour-de-france-profis/, abgeruf. 26.06.2023.